Werteorientiertes Online-Marketing: Warum Unternehmen nach ethischen Prinzipien handeln sollten

Pop-ups, Countdowns für „exklusive Angebote“ und blinkende „Jetzt kaufen“-Buttons: All das sind Dinosauriermethoden des Online-Marketings, die an die Hochphasen der Teleshopping-Ära erinnern.

Sicher, die dahinterliegenden Mechanismen wie künstliche Verknappung, der 0,99-Cent-Preistrick und die Ausrufung von Sales funktionieren nach wie vor. Aber welchen Werten folgen Marketer mit dieser Praxis? Und wollen sie ihnen in Zukunft auch noch folgen, bzw. können sie sich das angesichts des wachsenden Content-Angebotes und Kundenanspruches im Netz überhaupt leisten?

Im Zuge der Digitalisierung entstanden neue Kanäle und Formate. Nutzer wählen mittlerweile aus einer Fülle an Informationen. Die eigentliche Frage lautet also: Wie können Inhaltsanbieter in Zukunft noch aus diesem Überangebot hervorstechen?

Meines Erachtens liegt die Antwort klar auf der Hand: per wertorientiertem Marketing, welches ethische Prinzipien als Maxime seines Handelns begreift und die Bedürfnisse und Ansprüche der Menschen (bzw. Konsumenten) in den Mittelpunkt stellt.

Hinweis: Der Original-Artikel „Warum Werte im Online-Marketing überlebenswichtig sind“ erschien als Wettbewerbsbeitrag beim Ryte Content Cup und hat es Anfang 2018 unter die 20 Finalisten geschafft. Für die Zweitveröffentlichung via Zielbar hat unser „Sieger der Herzen“ seinen Beitrag aktualisiert und erweitert.

„Jetzt zum Sonderpreis“ und anderes Marketing-Blabla

Das massenhafte Sammeln von Kundendaten ist ein Gegenbeispiel, ebenso wie vollmundige „Geld einfach im Internet verdienen“-Versprechen. Bei beiden Methoden wird der Kunde nicht ausreichend respektiert. Dass dies negative Folgen haben kann, zeige ich später auf.

Immerhin, es gibt Marketer, die beim bloßen Gedanken an Werbesprech bereits Weihwasser und Kruzifixe aus dem Keller holen. Denn stumpfe Reiz-Reaktions-Methoden wie die oben erwähnten werfen Fragen auf:

  • Führt Clickbaiting zu mehr Leads oder zu einem langfristig beschädigten Ruf?
  • Sorgen bildschirmfüllende Pop-ups dafür, dass der Nutzer maximal genervt ist und die Unternehmenswebsite nie wieder besucht?
  • Was sind die Konsequenzen, wenn meine Zielgruppe den Mechanismus der künstlichen Verknappung durchschaut?
  • Welche Signale sende ich mit drei E-Mails am Tag, die ein wirklich allerletztes Mal den Preisknüller des Jahrtausends ausrufen?
  • Halten überschwängliche Formulierungen wie „immer“, „in den besten Händen“ oder „jederzeit“ einer Realitätsprüfung stand?

Das alles ließe sich unter Wortklauberei abtun. Tatsächlich aber wird mit derartigen Praktiken die Intelligenz der Nutzer beleidigt. Keine empfehlenswerte Maßnahme, wenn man die eigene Zielgruppe an sich binden möchte.

Das Elend begann natürlich schon vor der Ära der Teleshopping-Dinosaurier. Bis Content-Marketing schließlich einen vielversprechenden Weg aus dem oben beschriebenen Dilemma bot. Plötzlich konnte jeder seine Zielgruppe mit nutzwertigen Inhalten erreichen und dadurch Leads generieren.

Zumindest theoretisch. Doch im Rennen um die Aufmerksamkeit ist die Versuchung groß, ethische Prinzipien zu missachten. Schließlich wollen alle beim großen Run auf die Kunden zuerst im Ziel ankommen. Und das mit so wenig Aufwand wie möglich. Doch so funktioniert wertorientiertes Marketing nicht.

Inhaltsgetriebenes Marketing treibt Unternehmen vor sich her

Vor einigen Jahren kamen Corporate Blogs in Mode. Unternehmen verstanden mit der Zeit, dass Blogbeiträge die Kommunikation bereichern und das Bedürfnis der Zielgruppe nach nutzbringenden Informationen, persönlicher Ansprache etc. befriedigen.

Es folgte ein digitaler, harter Kampf um die Kunden: noch bessere, noch ausführlichere Blogposts als die der Konkurrenz mussten her. In dieser Jagd nach Aufmerksamkeit wurden Unternehmen zu Getriebenen ihrer selbst.

Und der Wettlauf hat gerade erst begonnen. Nicht nur Texte konkurrieren miteinander, sondern auch verschiedene Content-Formate: Grafiken, Podcasts, Videos, Livestreams – Nutzer tippen ein paar Begriffe in den schmalen Google-Suchschlitz und werden vom Informationsangebot erschlagen. Der Content Shock hat eingesetzt. Eine vernünftige Antwort darauf kann jedoch nicht die kopflose Produktion weiterer Inhalte sein. Denn das verbrennt Zeit, Nerven und Budget.

Es gilt also, den Blick zu weiten. Links und rechts der Corporate Blogs überholen bereits neue Technologien wie 360-Grad-Film, Virtual und Augmented Reality das bisher Bekannte in Rekordgeschwindigkeit. Die Entwicklungen erfordern eine Kurskorrektur mit Blick auf die in digitalen Zeiten immer vertracktere Customer Journey und das damit verbundene Touchpoint Management. Zwei Strömungen sind dabei besonders zu berücksichtigen.

Neue Technologien stellen das Online-Marketing auf den Kopf

Modernes Online-Marketing muss die Entstehung virtueller Welten und die damit verbundene Interaktion unter einen Hut bekommen. Der Kunde ist schon jetzt kein reiner Empfänger mehr, sondern tritt an unterschiedlichen Kontaktpunkten wie YouTube, Facebook und Websites aktiv in Beziehung zu Unternehmen.

Und spätestens seit ARKit bzw. ARCore ist auch Augmented Reality massentauglich. VR holt ebenfalls in großen Schritten auf: In diesem Jahr wird laut Prognose jeder dritte Deutsche eine VR-Brille besitzen. Um sich dafür zu wappnen, investiert die Industrie: Bis 2021 soll laut invidis der AR/VR-Markt um 100 Prozent auf 215 Milliarden Dollar wachsen.

All diese Entwicklungen lassen erahnen, dass die Messlatte für Online-Marketing-Inhalte noch höher liegen wird als bisher. Erste Umwälzung in diese Richtung haben wir bereits erlebt.

Der Kunde emanzipiert sich und gibt den Ton an

Wie rasend schnell sich digitale Nutzungsgewohnheiten ändern können, zeigt die jüngste Vergangenheit: Im Oktober 2016 griffen erstmals mehr Menschen über mobile Devices als über den Desktop auf Netzinhalte zu.

Und mobil gelten andere Bedingungen für das Online-Marketing als am PC, nämlich die eines responsiven Webdesigns im Sinne der bestmöglichen Nutzererfahrung. Wer sich auf diese Trendwende nicht rechtzeitig eingestellt hatte, bekam das Nachsehen.

Der weiter oben angedeutete Sprung zu Augmented und Virtual Reality sowie zu 360-Grad-Lösungen ist noch weitaus gravierender. Oder provokant gesagt: Schon bald sind PCs alte Opas, und Smartphones folgen ihnen etwas später in den Ruhestand.

Online-Marketing der sehr nahen Zukunft wird sich also völlig neu in die Customer Journey hineindenken müssen. Virtual und Augmented Reality sind nur zwei Begleiter dieser Reise in Richtung Smartspheres, von Smart Homes, selbstfahrenden Autos und künstlichen Intelligenzen ganz zu schweigen. Vorboten wie HoloLens, Alexa und Co. klopfen gemeinsam an die Tür, deshalb darf Online-Marketing deren Besuch nicht verschlafen.

Jetzt ist also nicht die Zeit, sich auf scheinbar ewig gültigen Wahrheiten auszuruhen. Sondern von Beginn an mit kundenorientierten Werten zu starten, um den zunehmenden Ansprüchen gerecht zu werden. Und gegebenenfalls die bisherige Online-Marketing-Strategie auf den Prüfstand zu stellen. Das tun – im übertragenenen Sinne – schließlich auch die Konsumenten.

Kunden betrachten Marketing kritischer

Nutzer entwickeln mit der Zeit Medienkompetenzen, wie sich unter anderem an der zunehmenden Ablehnung von Clickbaiting erkennen lässt: Reißerische Überschriften ernten Kritik, und der Newsfeed-Algorithmus von Facebook geht ebenfalls dagegen vor.

Plumper Bauernfang ist also nur von der Wand bis zur Tapete gedacht. Nachhaltiger und effektiver ist ethisch vertretbares, wertschätzendes Online-Marketing, wie ich im Folgenden zeigen werde. Das gilt sowohl für Blogbeiträge als auch für Ads, Sponsored Posts, Newsletter, Social Media Teaser etc.

Die hohe Kunst auf Unternehmensseite besteht darin, sich nicht vom technologischen Fortschritt anstacheln zu lassen, sondern durchgehend seriöses, kundenorientiertes Marketing zu betreiben. Heißt: keinen effektheischenden, aufgeblasenen Content zu produzieren, der nicht zur Marke passt. Keine Hauptsache-ich-bin-dabei-Schnellschüsse. Und bitte keine platten CTAs. Davon gab und gibt es bereits zu viele. Wir erinnern uns: „Preisknüller“ via E-Mail und so.

Umgekehrt lautet die gute Nachricht: Unternehmen, welche wertorientiertes Marketing betreiben, können zu echten Lovebrands werden. Gelebte Werte sind der Weg dorthin.

Werte sind keine hübschen Accessoires

Wer die Welt oder wenigstens das eigene Online-Marketing ein kleines bisschen verändern möchte, braucht Werte zur Orientierung. Sowohl im eigenen Unternehmen als auch für den Beziehungsaufbau mit den Kunden.

So stand auch ich selbst bei meinem Online-Projekt Freelance Start vor der Entscheidung: Welchen Prinzipien möchte ich von Grund auf folgen? Wie begegne ich meiner Zielgruppe im Internet?

Dabei habe ich mich von Landingpages über das angebotene E-Book folgenden Werten verschrieben, um das für den Beziehungsaufbau so wichtige Vertrauen zu fördern:

  • Authentizität/Transparenz
  • Nützlichkeit
  • Seriosität
  • Respekt
  • Nachhaltigkeit

Was aber bedeuten die einzelnen Werte im Überblick? Antworten darauf liefert unsere Infografik:

Infografik Werte im Online-Marketing

Werte im Online-Marketing

1. Authentizität/Transparenz

Authentisches Marketing lebt von einer ehrlichen Kommunikation mit dem Kunden. Oder wie es Dr. Winfried Felser, Betreiber des Netzwerks Competence Site, treffend ausdrückt:

Auch in der Kommunikation, vor allem in der neuen „sozialen“ Kommunikation von Wert und Sinn, besteht Handlungsbedarf, aber nicht nur als äußerer Zuckerguss, sondern als innerer (Marken-)Kern. Das VW-Desaster zeigt, dass man schicke Corporate-Responsibility-Broschüren ganz schnell verschwinden lassen sollte, wenn der Kern nicht der Oberfläche entspricht.

Mit anderen Worten: Authentizität muss ein gelebter und nicht nur ein propagierter Wert sein. Auch aus demografischer Sicht ist eine Ausrichtung auf Authentizität und Transparenz zu empfehlen, da diese Werte bei den Millenials hoch im Kurs stehen. Und diese sind schließlich die größte Käuferschaft auf dem Markt.

2. Nützlichkeit

Ziel jedes auf Wertschöpfung ausgerichteten Unternehmens ist es, einen Nutzen für den Kunden zu liefern – sei es in Form von innovativen Produkten, Dienstleistungen oder Unterhaltung. Der Wert Nutzen muss sich daher nicht auf die bloße Bereitstellung von Informationen beschränken.

Auf den Punkt gebracht: Von der Fokussierung auf hochwertige Inhalte im nutzenzentrierten Marketing profitieren beide Seiten – sowohl die Marke als auch der Kunde.

3. Seriosität

Hier kommen wieder die Dinosauriermethoden ins Spiel: als einschlägige Beispiele dafür, wie es lieber nicht mehr laufen sollte. Wer zum Beispiel Knappheit bei der Verfügbarkeit seines Produktes suggeriert, obwohl diese Knappheit faktisch nicht vorhanden ist, riskiert Imageschäden bis hin zu Shitstorms.

4. Respekt

Respekt und Achtung vor den Bedürfnissen und Emotionen des Nutzers sind wichtige Bestandteile des wertorientierten Online-Marketings. Hier gilt es, die Grenzen des guten Geschmacks nicht zu überschreiten.

Die Adressierung von Pain Points als Hilfe bei der Kaufentscheidung ist in Ordnung. Schließlich suchen laut der Web Self-Service Studie 72 Prozent der Kunden online selbst nach Lösungen für ihre Probleme, bevor sie weitere Kommunikationskanäle von Unternehmen beanspruchen. Aggressives Triggern tiefsitzender Ängste hingegen überspannt den Bogen. Ganz nach dem Slogan der Doku-Sitcom Diese Kaminskis rund um ein dubioses Bestattungsunternehmen: „Wir legen Sie tiefer“.

5. Nachhaltigkeit

Wertorientiertes Online-Marketing zeichnet sich durch eine klare Zielsetzung aus. Wie Kommunikationsexperte Dr. Stephan Tiersch richtig schreibt, ist „Geld verdienen“ kein operationalisierbares Ziel für eine Kommunikationsstrategie. Allem übergeordnet sind Mission und Vision des Unternehmens.

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines nachhaltigen Online-Marketings. Mit einer Vision und einer Mission haben Marketer eine Richtschnur, welche die anderen bisher genannten Werte bedingt. Ohne diese Richtschnur dringen sie heute nur schwer zur Zielgruppe hindurch.

Kunden haben die Wahl

Online-Marketing wird zunehmend reizvoller – und das ist nicht charmant, sondern im Sinne der sensorischen Überstimulation gemeint. Es dauert nicht mehr lange, bis wir mit virtuellen Werbetafeln und AR-Projektionen in der realen Welt leben (müssen). Kunden sind bereits heute gezwungen, einer Überreizung durch die Wahl spezifischer Content-Angebote zu entgehen.

Umso wichtiger ist es für alle Online-Marketer, sich der damit verbundenen Verantwortung bewusst zu sein. Oder wie es Marketingberater Oliver Marquardt formuliert:

Der Kunde ist kein reiner Konsument mehr. Er entscheidet, denn er hat die Wahl. Ernsthaftes, überdauerndes Vertrauen ist ein Garant für stabile Umsätze. Dies baut sich aber nur über einen ethisch korrekten und verlässlichen Wertekompass auf, der als Leitbild für die Unternehmenskultur, anständigem Verhalten gegenüber Beteiligten sämtlicher Interaktionsgebiete und damit auch für jedwede Vermarktungsaktivität gilt.

Eine damit einhergehende Verantwortung kann sich demnach nur entwickeln, wenn wir Plattitüden wie „Liefere nutzbringende Inhalte für deine Zielgruppe“ ebenso kritisch hinterfragen wie die ausufernde Praxis, aus Menschen wandelnde Werbetafeln zu machen. Denn zum wertorientierten Marketing gehört es dazu, sich stets neu auf den Kunden und seine Bedürfnisse einzulassen. Und zwar an allen Touchpoints.

Wie Unternehmen davon profitieren können zeigt Online-Marketing-Experte Lars Bobach:

Wenn es gelingt, mit dem Unternehmensblog einen echten Mehrwert zu schaffen und die für das Unternehmen relevanten Social-Media-Plattformen erfolgreich zu bespielen, sind treue Fans nur einer von mehreren Gewinnen. Löst der Blog Probleme, ohne dabei zu werblich zu sein und nur Produkte vorzustellen, werden mehr potenzielle Kunden ihn lesen und weiterempfehlen. Daraus resultiert häufig auch eine gesteigerte Conversion Rate. Die Zeit der platten Werbung jedenfalls ist vorbei.

Bei der Diskussion um Werte stellt sich allerdings eine ebenso kritische wie berechtigte Frage: Lohnt sich das Ganze? Schließlich ist diese Ausrichtung auf Werte je nach Unternehmensstruktur ein größerer Angang.

Exkurs: Warum uns Werte manchmal egal sind

Bevor ich auf die Messbarkeit von Werten im Online-Marketing eingehe, möchte ich ein anderes Phänomen ansprechen: unsere Bereitschaft, Produkte und Dienstleistungen mit ethisch fragwürdigem Hintergrund zu nutzen. Denn die Debatte um Werte bringt uns nicht voran, wenn wir nicht ehrlich auf das tatsächliche Kaufverhalten und die dahinterstehenden psychologischen Mechanismen blicken. Denn um ethische Probleme zu wissen bedeutet nicht automatisch, dass wir damit in Verbindung stehende Angebote nicht nutzen. Im Gegenteil: Es scheint uns manchmal regelrecht Spaß zu machen. Die Band Deichkind hat diesen Widerspruch im Song „Leider geil“ perfekt eingefangen.

Die Entscheidung für einen Kauf trotz ethischer Bedenken hat mehrere psychologische Ursachen. Da ist zum einen die Consumer Citizen Gap: Verbraucher sagen zwar A, tun jedoch B. Überspitzt ausgedrückt: In Umfragen sind die meisten von uns Verfechter von Fairtrade & Co. Wir antworten auf Fragebögen in unserer sozialen Rolle als Bürger und wahren so den ethisch korrekten Schein. Als Verbraucher ticken wir jedoch ganz anders. So schreiben die Wissenschaftler vom Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung:

Es gibt eine klare Diskrepanz zwischen den Wünschen als Bürger und dem Verhalten als Konsument.

Nicht immer ist uns dieser Widerspruch bewusst. So sehen wir das schicke Smartphone in der Glasvitrine, aber nicht den damit in Verbindung stehenden Raubbau von Coltan. Und wenn der SUV seine Abgase nach draußen pustet, bekommt der Fahrer von den Folgen erst einmal nichts mit. Hier zeigen sich die Schattenseiten der Globalisierung: Herstellungsprozesse und internationale Verflechtungen sind derart komplex, dass der Einzelne den Überblick verliert.

Wir erfahren zwar von Skandalen, allerdings so gut wie immer nur durch Medienberichte. Doch der alleinige Appell an unsere Ratio ist kaum wirksam. Denn insbesondere Impulskäufe sind emotionsgesteuert. Würden wir die unethische Praxis dahinter am eigenen Leib erfahren, würde sich dies wesentlich stärker auf unser emotionales Empfinden und damit auch auf unsere Kaufentscheidungen auswirken.

Um ethisch einwandfrei zu handeln, müssten Verbraucher ohnehin jedes Produkt und jede Dienstleistung genauestens prüfen. Ein Unterfangen, das für die meisten Menschen alleine schon zeitlich nicht umsetzbar ist.

Zum anderen ist da die Neophobie, auch bekannt als: „Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht.“ In Bezug auf Marketing heißt das: „Wen ich nicht kenne, von dem kaufe ich nicht.“

Wozu auch, wenn man seit Jahren den Account beim bekanntesten Versandhändler hat? Und zwar mit der Gewissheit, dass stets pünktlich und günstig geliefert wird. Und warum den PC-Hersteller wechseln, wenn ich jahrelang mit den Modellen einer Marke zufrieden war? Was wir einmal als hilfreich, praktisch, nützlich usw. erfahren haben, speichert sich tief im emotionalen Gedächtnis ab. Fakten kommen dagegen kaum an, selbst dann nicht, wenn die Qualität eines Vergleichsproduktes höher ist.

Wie lautet der Weg aus dem Dilemma? Positive Gefühle mit dem bisher unbekannten Angebot verknüpfen. Dafür zwei Beispiele:

Mit unserer Lösung holen Sie mehr Geld in die Haushaltskasse.
Oder:
Mit unserer Lösung müssen Sie weniger knausern.

Welcher der beiden Sätze macht Lust auf mehr und welcher schreckt eher ab? Die Kunst im Marketing ist es, die Existenz von Positivity Offsets zu berücksichtigen, um Neugier und Erkundungslust beim Kunden auszulösen. Ziele erreichen macht mehr Spaß als nur unangenehme Umstände zu vermeiden. Um bei meinem Beispiel zu bleiben: Mehr Geld zu haben, klingt wesentlich reizvoller als die Aussicht darauf, weniger knausern zu müssen.

Und es gibt noch einen Grund, weshalb wir umstrittene Produkte und Dienstleistungen leider geil finden: Weil wir mit Trotz reagieren. Niemand lässt sich gern bevormunden. Und je mehr jemand uns ein bestimmtes Verhalten aufzwingen möchte, desto stärker zeigt sich unsere Reaktanz im Sinne von: Jetzt erst recht!

In unserer Psyche stellen wir damit unser Freiheitsempfinden wieder her. Je vehementer uns Parteien, Verbände, Gremien etc. also zu einem aus ihrer Sicht ethischen korrekten Verhalten drängen wollen, desto reizvoller finden wir die Alternativen. Denn verbotene Früchte schmecken bekanntermaßen am leckersten.

Das Learning daraus: Wertorientiertes Marketing gelingt nicht mit erhobenem Zeigefinger. Sondern mit einer ebenso sympathischen wie klaren Kommunikation, die dem Verbraucher die freie Wahl lässt. Zugleich dürfen junge Marken oder solche mit einer ethischeren Neuausrichtung im Marketing anfangs nicht zu viel erwarten. Denn es braucht aus den genannten psychologischen Gründen Zeit, bis Konsumenten Vertrauen zu neuen Anbietern fassen und liebgewonnene Shopping-Gewohnheiten ablegen.

Messbarkeit der Erfolge von wertorientiertem Marketing

Erfolge von Kampagnen, Ads und Blogbeiträgen lassen sich nur schwer in harten Zahlen messen. Attributionsmodelle zur Aussagekraft einzelner Touchpoint-Maßnahmen, wie beispielsweise das Last-Click-Modell, werden der Komplexität der Customer Journey immer weniger gerecht.

Dennoch: Wertorientiertes Marketing zahlt auf andere Weise auf den Unternehmenserfolg ein. Arnd Vomberg nennt in seinem Buch „Wertorientiertes Marketing und Human Resource Management drei entscheidende Bereiche, in denen sich Ergebnisse zeigen:

  • Markenbindung

Im Falle einer erfolgreichen Markenbindung steigt die Bereitschaft von Kunden, Produkte eines Unternehmens weiterzuempfehlen und die Marktdurchdringung für neue Produkte anzukurbeln. Voraussetzung für eine erfolgreiche Markenbindung ist eine positive Einstellung des Kunden gegenüber der Marke.

  • Höhere Zahlungsbereitschaft

Wer Vertrauen zur Marke hat, gibt tendenziell mehr Geld aus, welches die Durchsetzung eines Preispremiums begünstigt.

  • Loyalität

Schafft es eine Marke, die Zielgruppe nachhaltig mit dem eigenen Marketing zu überzeugen, ist diese eher dazu bereit, kontinuierlich Produkte bzw. Dienstleistungen zu erwerben.

Wertorientiertes Online-Marketing kann durchaus zu mehr Umsätzen führen. Das allein wäre jedoch zu kurz gedacht. Die Vermarktung entlang von Werteleitplanken führt zu einem Wettbewerbsvorteil durch Differenzierung. Denn gelebte Werte können für eine positive öffentliche Wahrnehmung sorgen: Einer Studie von Cohn & Wolfe zufolge belohnen neun von zehn Verbrauchern eine Marke für ihre Authentizität.

So wird die Gefahr von Gesichtsverlusten nicht nur verringert, sondern die Reputation durch zufriedene Mitarbeiter und Kunden auf organischem Wege gefördert.

Selbstverständlich lassen sich auch KPIs festlegen, um das eigene Vorgehen im Online-Marketing so gut wie möglich auszuwerten. Dazu gehören unter anderem die Anzahl der Conversions, Leads und die Absprungrate auf der eigenen Website.

Allerdings mahnen Experten zur Vorsicht bei deren Interpretation, da sich Umsatzsteigerungen oft nur sehr eingeschränkt einzelnen Maßnahmen zurechnen lassen. Es geht vielmehr um ein Ineinandergreifen der genannten ethischen Werte und die sich daraus ableitenden Handlungen. Diese wiederum sind vorrangig als weiche Faktoren für den Geschäftserfolg mitverantwortlich.

Wertorientiertes Marketing berücksichtigt also, dass die Erwartungen der Kunden an Unternehmen aus den genannten Gründen gestiegen sind. So schreibt Online-Marketer Olaf Kopp:

Nur wer in der Lage ist, die Welten aus Kreation, Psychologie, Technik und Analyse miteinander zu verbinden, wird erfolgreich Online-Marketing betreiben können.

Die Komplexität nimmt auf beiden Seiten zu: einerseits bei Nutzern. Sie müssen Medienkompetenzen entwickeln, um in der Flut täglich erscheinender Inhalte das für sie Wesentliche herauszufiltern. Andererseits stehen Unternehmen vor der Herausforderung, diese Inhalte so aufzubereiten, dass sie die Nutzer auch erreichen.

Holt die Werte ins Online-Marketing!

Schluss mit Lobgesängen auf die eigenen Projekte und Kompetenzen. Weg mit den Countdowns. Keine Spam-E-Mails mehr mit Betreffzeilen wie „Was Du garantiert noch nicht wusstest …“ in das berstende Postfach der Zielgruppe.

Kurzum, liebe Marketer: Holt die Werte ins Online-Marketing! Habt den Mut, das zu leben, was ihr in Artikeln verkündet: Begegnet dem Kunden mit Wertschätzung und Achtung seiner Bedürfnisse.

Natürlich greifen die Pawlowschen Tricks. Nackte Frauen auf Seite 1 funktionierten auch am Magazinständer an der Tanke. Aber hatte sie deshalb jede Zeitung auf dem Titelblatt? Und warum wohl entschied sich selbst die Bild für einen anderen Weg?

Qualität ist Antrieb, Motor und Belohnung

Online-Marketing steht am Scheideweg. Wohin soll die Reise gehen? In Richtung des immergleichen Triggerns von Affekten? Nochmal in aller Deutlichkeit: Die Entscheidung für Werte im Online-Marketing ist keine rein ethische, sondern auch eine strategische, eine für Unternehmen überlebensnotwendige. Wer weiterhin unhaltbare Werbeversprechen postulieren möchte, kann das natürlich tun.

Ob er im wachsenden High-End-Angebot von Online-Inhalten dann auch dort ankommt, wo er hinwill, bleibt fraglich. Der Ausweg ist so einfach wie schwierig: hochwertigen Content an allen Touchpoints liefern. Und dabei zugleich „Handschlagqualität“ kommunizieren, wie es der Investment-Experte Gerald Hörhan nennt.

Jeder kann diesen Weg gehen

Dieser Ausweg ist anstrengend, ja. Aber auch fair und lohnend, weil er vom Solopreneur ebenso gangbar ist wie von großen Unternehmen. Dabei gilt es, ruhig zu bleiben und nicht jedem Trend nachzujagen. Sich also anders zu orientieren als bisher. Denn wie AWS Online richtig schreibt, bräuchte die Marketingbranche 2018 eigentlich eine Pause.

Angesichts der Flut an Inhalten, Kanälen und Technologien ist es wichtiger denn je, sich zu besinnen und ein strategisches Online-Marketing-Fundament zu legen. Sprich: Die erwähnten Werte müssen her.

Fazit: Klasse statt Masse

Wer mehr Budget hat, der verfügt auch über mehr Möglichkeiten. Allerdings zeigt sich in Zeiten des Content Shock, dass es nicht mehr um die Masse geht, sondern um eine wertebasierte Haltung und daraus resultierende exzellente Inhalte. Mit frischen Formaten wie VR- und AR-Infotainment, aber auch mit klassischen Blogartikeln und nützlichen Newslettern lässt sich wertorientiertes Marketing auf mehreren Ebenen umsetzen.

Mit der Absicht, dabei wahrhaftig und nah an der Zielgruppe zu bleiben, haben alle Akteure die Chance, einen vielversprechenden Weg im Online-Marketing kometenhaft einzuschlagen. Schade nur um die Dinosaurier aus der Teleshopping-Ära. Die werden dann allmählich aussterben.

Artikelbild: Martin Mummel/GRVTY

 

Werteorientiertes Online-Marketing: Warum Unternehmen nach ethischen Prinzipien handeln sollten
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Benjamin Brückner

Benjamin Brückner

Benjamin Brückner ist Journalist, Blogger und Gründer der Online-Plattform Freelance Start. Nach mehrjährigen Tätigkeiten in Hörfunk- und Fernsehredaktionen veröffentlichte er zwei Bücher und arbeitete unter anderem als Redakteur und Newsletter-Teamleiter bei Zielbar.

Eine Reaktion zu “Werteorientiertes Online-Marketing: Warum Unternehmen nach ethischen Prinzipien handeln sollten”

  1. Dominic Schreiter

    Hallo aus Karlsruhe,

    schöner kann ich manche Details auch nicht schildern. Die Menschen spüren mittlerweile, dass im (Online-)Business irgendetwas fehlt… Eine gewisse Wertschätzung und Würde – wenn man so will.

    Ich glaube daran, dass sich Inspiration als viel mächtiger erweist als jede noch so starke Manipulation.

    Schöne Grüße
    Dominic Schreiter

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