Richtig zuhören: Wie Unternehmen relevante Themen finden und ihre Kunden besser verstehen
„Die organische Reichweite auf Facebook sinkt, ohne Werbung geht da nichts mehr.“ – Wer sich auch nur ein wenig in der Kommunikationsbranche bewegt, hat diese Sätze garantiert schon gehört. Doch trotz des allgegenwärtigen Jammerns gibt es Facebook-Seiten, die ganz ohne Werbung auskommen und eine hohe organische Reichweite erzielen. Das „Geheimnis“ hinter diesen Seiten lässt sich auf die gesamte Unternehmenskommunikation übertragen. Bereit für das „Geheimrezept“?
Die Teams hinter diesen Seiten verbringen 50 Prozent ihrer Zeit damit, ihren Fans zuzuhören und mit ihnen zu sprechen. Klingt einfach, fast schon banal, oder? Absolut richtig. Dennoch fehlt es in vielen Unternehmen und Agenturen genau daran. Viel zu oft wird Content rein auf der Grundlage von Statistiken, Bauchgefühl oder episodischen Erfahrungen erstellt.
Dazu ein kurzes Gedankenexperiment. Ähnlichkeiten mit real existierenden Unternehmen sind rein zufällig:
„Wir kennen unsere Kunden genau und wissen was sie wollen.“ Mit diesem – voller Selbstvertrauen ausgesprochenen – Satz beginnt der Leiter des Marketings den Strategie-Workshop. Ein Blick auf die Kommunikation zeigt jedoch: Die Menschen interessieren sich in den Sozialen Netzwerken so gut wie gar nicht für den Content des Unternehmens.
Das liegt nicht an der handwerklichen Qualität, die Inhalte sind gut, die Fotos hervorragend und die Texte auf den Punkt formuliert. Doch inhaltlich geht die Kommunikation komplett an den relevanten Menschen und ihren Bedürfnissen vorbei. Klingt das nach „Wir kennen unsere Kunden genau“…?
Zuhören und mit Menschen reden ist nicht sexy
Im Laufe der Zeit durfte ich viele sogenannte Kommunikationsstrategien und Konzepte lesen und analysieren. Zuhören, der aktive Dialog mit Kunden, eine kontinuierliche Recherche und Analyse der Kundenbedürfnisse – diese Punkte finden sich nur selten in den Folien oder Dokumenten wieder.
Auf einer gewissen Ebene ist das nachvollziehbar, denn Zuhören ist nicht sexy. Content-Erstellung lässt sich sehr viel einfacher verkaufen als Analyse und Recherche. Dazu kommt, dass aktives und ernsthaftes Zuhören nicht nur online stattfindet, sondern das gesamte Unternehmen umfassen und alle Mitarbeiter mit Kundenkontakt einbeziehen sollte. Damit geht es weit über den klassischen Social-Media- oder Online-Bereich der Unternehmenskommunikation hinaus – und sorgt so für Erklärungsbedarf und Diskussionspotenzial.
Doch diese Diskussionen sind wichtig. Denn Zuhören ist der einzige Weg, die Kunden und ihre Bedürfnisse wirklich zu verstehen und so sicherzustellen, dass Arbeit, Energie und Geld in der Unternehmenskommunikation sinnvoll eingesetzt werden.
Wie funktioniert Zuhören am besten?
Zuhören klingt einfach, doch in der Praxis stellt sich schnell die Frage: Wie machen wir das eigentlich? Christian Buggisch von Datev bringt es im Video schön auf den Punkt: „Wir wollen dem Kunden da begegnen, wo er sich aufhält.“ Das ist zwar nicht der gesamte Weg zum Zuhören, jedoch die essenzielle Voraussetzung.
Nur wer mit Kunden da spricht, wo sie sich bewegen, und ihr Kommunikationsverhalten versteht und respektiert, kann auch ihr Feedback und ihre Meinung einholen. Anwesenheit allein genügt jedoch nicht. Nützlich werden Soziale Netzwerke – und jeder andere Kommunikationskanal – erst, wenn sie aktiv genutzt werden. Unternehmen müssen sich den Gepflogenheiten der Netzwerke anpassen und diese kanalspezifisch nutzen. Nur dann werden sie Teil der Community, nur dann sprechen sie Menschen auf den verschiedenen Kanälen wirklich an.
Die folgenden fünf Schritte helfen dabei, aktuellen und künftigen Kunden in den Sozialen Netzwerken wirklich zuzuhören:
- Aktives Monitoring der Kernthemen: Auch Unternehmen, die selbst (noch) keine Präsenzen in einem Netzwerk pflegen, können sich darin umschauen und Augen und Ohren offen halten. Wer beispielsweise auf Twitter aktiv relevante Hashtags monitort, sich Konversationen zu Kernthemen des Unternehmens anschaut und aktiv mitliest, erfährt viel über die aktuelle Stimmung und den Kontext, in dem diese Themen besprochen werden.
- Kontaktpunkte schaffen: Soziale Netzwerke sind in erster Linie nicht Marketingkanal, sondern Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeit. Wenn sich Unternehmen wirklich für die Bedürfnisse ihrer Kunden interessieren, können sie durch eigene Accounts und Seiten die Möglichkeit zum Feedback bieten. Wichtig ist, dass die Kanäle dann nicht nur der Werbung dienen, sondern auch wirklich zu Fragen aufgefordert und auf diese reagiert wird.
- Kontinuierliche Recherche: Tools wie Answer the Public, Social Mention oder Talkwalker Alerts bieten die Möglichkeit, sich kontinuierlich und kanalübergreifend über Diskussionen und Konversationen zu bestimmten Themen zu informieren.
- Influencer kennen und beobachten: Auch wenn ich den Begriff „Influencer“ nicht mag: Diese Meinungsmacher sind wichtig. Und es gibt sie zu jedem Thema und in jedem Bereich. Wirklich wertvoll sind meiner Erfahrung jedoch nicht Beiträge eines Influencers selbst, sondern die Reaktionen seiner Fans und Kontakte. Um die Influencer deines Bereiches zu identifizieren, können Tools wie Kred oder Buzzsumo helfen. Wichtig: Konzentriere dich nicht auf die reine Followerzahl, sondern auf die Interaktion und Qualität der Beziehungen. Fokus sollten die Kommentare und Reaktionen auf die Beiträge des Influencers zu den Kernthemen deines Unternehmens sein. Hier siehst du, was die Menschen wirklich bewegt.
- Bestehende Erfahrungen nutzen: Der fünfte Punkt hat mit Social-Media- und Online-Kanälen nichts zu tun. Dennoch ist er wichtig, vielleicht sogar wichtiger als manche Online-Analyse. Kurz gesagt: Nutze die Erfahrung deines Unternehmens und deiner Mitarbeiter. Jedes Unternehmen hat – wenn es nicht gerade erst seit gestern existiert – einen riesigen und wertvollen Erfahrungsschatz im Umgang mit Kunden gesammelt. Viele Unternehmen pflegen ihre Kundenkontakte seit Jahren und Jahrzehnten. Nur eben offline. Doch diese Menschen, mit denen die Mitarbeiter dort sprechen, gehören teilweise auch zu den Kunden, die online angesprochen werden. Und ihre Bedürfnisse und Fragen können die Grundlage für die Online-Kommunikation sein und wichtige Themen liefern.
Alle fünf Schritte, die du auch als PDF herunterladen kannst, sollten aus meiner Sicht gegangen werden, um Kunden wirklich zuzuhören. Nützlich werden all die so erfassten Daten jedoch erst, wenn sie zusammengeführt und regelmäßig analysiert werden. Was sagen Kunden über das Unternehmen? Wo spricht wer über die Kernthemen? Wo und wie kann, sollte oder muss sich das Unternehmen einschalten? Welche Bedürfnisse kann das Unternehmen durch seine Inhalte befriedigen, welche Fragen beantworten? Erst die Antworten auf diese Fragen machen die gesammelten Daten wertvoll und runden das aktive Zuhören ab.
Zuhören ist nicht immer angenehm
Wer sich daran macht, die oben skizzierten Schritte in die Praxis umzusetzen, wird früher oder später feststellen: Zuhören ist nicht immer angenehm. Denn Kunden äußern sich auch zu negativen Erfahrungen, Fehlern und Problemen. Ob die Beschwerden berechtigt sind, muss im Einzelfall geprüft werden. Doch negative Äußerungen und Erfahrungsberichte wiegen oft schwer und werden in vielen Fällen schneller wahrgenommen als positive.
Das muss für Unternehmen und Marken jedoch kein Problem sein. Wer Zuhören ernst nimmt, will ehrliches und ungeschminktes Feedback und nutzt es als Chance. Ein prominentes Beispiel war die Aktion #fragNestlé, die 2015 zu einem veritablen Shitstorm führte. Der Konzern startete parallel zur Fernsehsendung Markencheck die Kampagne auf Twitter. Und zwar wohlwissend, dass es viele negative Kommentare geben würde.
Christian Henne vom Munich Digital Institute hat die Aktion damals analysiert. Er kommt unter anderem zu folgendem Schluss:
Dazu bleibt festzuhalten: Eine größere Kritikwelle (auch Shitstorm) bewusst in Kauf zu nehmen, um überhaupt dialogfähig zu werden, kann eine Taktik sein. Solche Wellen kommen mit Wucht, aber sie glätten sich eben auch recht schnell. Mit dem Argument, sich zu stellen und offen für Kritik zu sein, lässt sich dann durchaus digital kommunizieren.
Nestlé wollte durch die Aktion Dialogbereitschaft zeigen und hat das – meiner Meinung nach – auch geschafft. Viel wichtiger ist aus meiner Sicht jedoch: Die Reputation des Unternehmens war schon vor der Aktion angeschlagen, die auf Twitter folgenden Argumente und Provokationen kamen daher nicht überraschend und waren auch nicht neu.
Dennoch hat Nestlé meines Erachtens nach stark von der Aktion profitiert. Weil das Unternehmen zugehört hat. Noch mal Christian Henne:
Twitter ist kein wirklich wichtiger Kanal für die Endverbraucher-Kommunikation in Deutschland. Allein in den öffentlich sichtbaren Beiträgen ist Facebook für Ernährungsthemen dreimal so wichtig. Auf der anderen Seite ist der Einfluss von Twitter-Themen auf die Massenmedien überproportional bedeutsam. Twitter ist bei vielen Redaktionen so etwas wie der Geigerzeiler des Social Webs.
Nestlé hat also nicht den Endverbrauchern zugehört (diese sind nicht in nennenswerten Zahlen auf Twitter vertreten), sondern den medienaffinen Menschen, Influencern und Medienschaffenden. Neben der positiven Wirkung der zur Schau gestellten Dialogbereitschaft hat Nestlé so auch die kritischen Themen und Arbeitsfelder quasi frei Haus geliefert bekommen.
Das Unternehmen weiß durch die Aktion sehr genau, wo es klarer oder aktiver kommunizieren muss und was medienaffine Menschen und Medienschaffende von ihm erwarten. Das Feedback mag überwiegend negativ gewesen sein, doch für Nestlé war es Gold wert.
Das Beispiel zeigt: Zuhören kann schmerzhaft sein. Doch auch negatives Feedback kann Chancen und wertvolle Informationen bieten, wenn Unternehmen zuhören und in Ruhe analysieren, was (potenzielle) Kunden ihnen zu sagen haben.
10-Punkte-Plan für systematisches Zuhören
Abschließend habe ich in der folgenden Checkliste zehn Fragen zusammengefasst, mit denen Unternehmen ihr Zuhören systematisch gestalten können:
- Welche Kernthemen sind für uns besonders wichtig?
- Wie können wir erfassen, wo über unsere Themen gesprochen wird?
- Wo kommunizieren unsere Kunden, wo informieren sie sich?
- In welchen Netzwerken können oder wollen wir aktiv vertreten sein?
- Wie können wir die Erfahrung unser Mitarbeiter mit unseren Kunden nutzen?
- Wie und mit welchen Tools gestalten wir unsere kontinuierliche Recherche?
- Wo und wie sammeln wir all die gewonnenen Daten?
- Wer wertet diese Daten wann aus und zieht daraus Schlüsse?
- Wie lassen wir die gewonnenen Erkenntnisse in unsere Strategie einfließen?
- Wie kommunizieren wir Veränderungen, die durch Kundenfeedback angestoßen wurden?
Artikelbild: Martin Mummel/GRVTY
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