„Kapert“ das Marketing in Zukunft die Corporate Communication?
Die Digitalisierung und ein geändertes Mediennutzungsverhalten erzwingen ein Umdenken in den Kommunikationsabteilungen. Ohne Frage muss heute die Ansprache von Kunden und Stakeholdern anders erfolgen als noch vor ein paar Jahren. Das gilt sowohl für die Marketing- als auch für die Unternehmenskommunikation. Da sich beide Disziplinen meist nur durch die angewandten Methoden unterscheiden, stellt sich die Frage, ob eine Trennung noch sinnvoll ist, wenn sich diese Methoden annähern.
Der Paradigmenwechsel zur Nutzenorientierung ist vollzogen
Sowohl Marketingkommunikation als auch Unternehmenskommunikation haben das Ziel, Botschaften an Zielpersonen zu übermitteln und diese zu einer bestimmten Haltung oder Handlung zu bewegen. Die Grundlage der folgenden Überlegungen ist der Paradigmenwechsel in der Kommunikation, den ich in aller Kürze wie folgt umreißen möchte: Durch die Digitalisierung und die Vernetzung hat sich die Anzahl der verfügbaren Kanäle und das Mediennutzungsverhalten der Menschen verändert. Die Menschen sind scheu geworden und wählen nur noch die Inhalte aus dem ständig verfügbaren Medienangebot, die ihnen nützlich erscheinen. Indem sie die Dialogmöglichkeiten nutzen, haben sie sich vom Rezipienten zum Kommunikationsteilnehmer gewandelt.
Für Unternehmen heißt das: Die Kommunikation muss nutzenorientiert geplant und durchgeführt werden. Als professionelle Kommunikatoren nehmen wir die Bedürfnisse unseres Gegenübers ernst, anstatt ihn einer Druckbetankung auszusetzen, die alleine an den Marken- und Unternehmenszielen ausgerichtet ist. Um diese Bedürfnisse zu ermitteln, nutzen wir zum einen das Feedback aus dem Markt, wie es sich über die Inhalte der Sozialen Medien, die Gespräche der Servicemitarbeiter und die direkten Beratungsgespräche abbildet. Zum anderen werten wir die Daten des digitalen Nutzerverhaltens und der klassischen Marktforschung aus.
„Das ist historisch so gewachsen.“ Das heißt aber nicht, dass es so bleiben muss …
Wenn ich im Planspiel für ein neues Unternehmen auf der grünen Wiese für die Kommunikation sorgen müsste, würde ich nach diesem 10-Punkte-Plan vorgehen:
- Festlegen von Unternehmenszielen, Vision, Mission
- Analyse aller Anspruchsgruppen, vom Kunden bis zum Gemeinderat
- Festlegen der Marketingziele, Ableiten der Kommunikationsziele
- Definition von Markenkern und Markenwerten
- Entwerfen der Core-Story, Festlegen der Themenfelder
- Ableiten von Personas oder realen Personen aus der Analyse der Anspruchsgruppen – sofern sinnvoll. Festlegen und Einrichten der Kanäle – auch der Rückkanäle für Kundenservice
- Anbindung an CRM, Datenbanken etc.
- Aufbau eines agilen Teams nach einem Rollen-Aufgaben-Modell, Einrichten der Prozesse
- Erstellen eines Themenplans
- Erstellen eines Mediaplans
Beim Aufstellen des Teams und beim Festlegen der Prozesse würde ich darauf achten, dass ich sowohl Kanal- und Technik-Experten im Boot habe als auch Leute mit Methoden- und Marktkenntnissen. Diese Teams sollten dann nach Möglichkeit in einer Matrix aus Themen- und Kanalverantwortung arbeiten. Leistungen, die wir in dem Unternehmen dieses Szenarios nicht selbst erbringen können, werden im Netzwerk eingekauft. Hierzu suchen wir uns stabile Netzwerkpartner, mit denen wir uns in sicheren Workflows verbinden.
Sobald die Anzahl der bearbeiteten Märkte im Kerngeschäft der neuen Firma wächst, werden marktspezifische Einheiten gebildet. Diese Einheiten operieren so nah am Markt wie möglich, sind aber mit dem zentralen Marketing inhaltlich und organisatorisch verbunden. Wenn es nach mir ginge, würde es dann in der Aufbauorganisation an zentraler Stelle lediglich eine strategische Leitung der gesamten Kommunikation geben, ansonsten nur Team- und Projektleitungen. Die Fachkollegen müssten regelmäßig in den Teams wechseln, ihr vorhandenes Wissen einbringen und von den anderen lernen. Es gäbe nur wenige Kollegen, die als Spezialisten fest in einem Aufgabengebiet verblieben. Die Marktnähe der Teams ist unbedingt notwendig, da die Kommunikationskanäle mit der Zeit die Funktion von Nervenbahnen des Unternehmens in den Markt bekommen.
Marketing ist marktorientierte Unternehmensführung
In diesem Unternehmen neuen Typs herrscht Zweiwegkommunikation aus dem Markt in das Unternehmen hinein und wieder zurück. In diesem Szenario achten alle genau darauf, was unsere Adressaten uns erwidern. Die zentrale Kommunikationsabteilung ist das Nervenzentrum des Unternehmens und ein integraler Bestandteil des Marketings. Sie ist eng mit Produktentwicklung und -vertrieb verbunden. In der Geschäftsleitung ist tiefes Marketing-Know-how vertreten. Marketing ist marktorientierte Unternehmensführung.
Ich bin überzeugt: Es gibt keine Kommunikationsaufgabe, die in der oben umrissenen Infrastruktur nicht professionell erledigt werden könnte. Denn letztlich geht es immer um die Anwendung der gleichen Methode in unterschiedlichen Varianten:
- Ermitteln des Bedarfs des Adressaten.
- Abgleich mit den eigenen Inhalten unter Berücksichtigung der Core-Story.
- Alles andere ergibt sich aus den Spezifika der gewählten Kanäle, den Besonderheiten der Zielpersonen oder der etwaigen Brisanz der Botschaft.
Die Aufbauorganisation muss daher über Teammitglieder mit kanalspezifischem Wissen verfügen. Eine Notwendigkeit, einzelne Teileinheiten kanalspezifisch voneinander abzugrenzen, ist hiervon nicht abzuleiten. Die Unternehmenskommunikation arbeitet schon seit jeher überwiegend nach dem Prinzip der Nutzenorientierung. Wenn dies künftig auch die Marketingkommunikation tut, sind beide methodisch vereint und müssen organisatorisch nicht mehr getrennt werden. Warum sind dann überhaupt zwei unterschiedliche Disziplinen entstanden?
Werbung war bis in die 80er-Jahre mehr Plan- als Marktwirtschaft
Die konsequente Orientierung am Kundennutzen, die wir aufgrund des Paradigmenwechsels eingefordert haben, ist nichts anderes, als dass jetzt auch für unsere Kommunikationsinhalte Marktbedingungen gelten. Das heißt: Kommunikation ist ein Produkt, das sich im Wettbewerb behaupten muss. Wenn Inhalt, Aufbereitung oder Platzierung nicht passen, wird unser Angebot ignoriert. Das war nicht immer so. In den 80er-Jahren zum Beispiel hatten wir natürlich keine digitalen Medien – aber auch im Rundfunkbereich gab es lediglich die öffentlich-rechtlichen Hörfunk- und Fernsehprogramme. Dort wurden die Werbeplätze je Landesanstalt geplant und vergeben. Weder Werbetreibende noch Rezipienten hatten eine Wahlmöglichkeit.
Doch schauen wir uns einmal die Rahmenbedingungen für die Arbeit der jeweiligen Kommunikatoren an: Zielpersonen der Marketingkommunikation sind die prospektiven und bestehenden Kunden. Sie werden an verschiedenen Touchpoints mittels unterschiedlicher Medien entlang ihrer Customer Journey angesprochen. Zu den Zielen gehören typischerweise Markenbekanntheit, Markenimage, Erhöhen der Kaufbereitschaft oder Fördern von Impulskäufen.
In der Marketingkommunikation geht es darum, Produkte zu verkaufen. Diese Produkte tragen in der Regel eine Marke, um ihre Herkunft zu kennzeichnen und die Wiedererkennbarkeit zu gewährleisten (funktionaler Nutzen) oder um dem Käufer eine Vorstellungswelt zu eröffnen (emotionaler Nutzen). Die Positionierung und Führung der Marke ist ein wichtiger Teil der Marketingkommunikation. Hier geht es um die Qualität der Aussagen, Tonalität, Stil, Gestaltung, Kohärenz.
Die Zugänge zum Publikum waren lange Zeit knapp. Als Massenmedien gab es lediglich Fernseh- und Hörfunksender, Zeitungen und Magazine. Deren Geschäftsmodell bestand darin, Inhalte anzubieten, die vom Publikum nachgefragt wurden. Den Zugang zu diesem Publikum vermarkteten die Sender und Verlage dann gegen gutes Geld per Zeit- oder Flächeneinheit. Neben den Massenmedien etablierte sich das sogenannte Direktmarketing, die Kommunikation am Point of Sale, die Out-of-Home-Medien, Events, Verkaufsliteratur und Corporate Publishing. Letzteres möchte ich erst einmal ausklammern. Als das Internet aufkam, wurde die analoge Welt zunächst 1:1 in die digitale übertragen. Portale schafften Content-Angebote und vermarkteten Werbeplätze.
Das Vorhandensein von Marken- und Media-Know-how rechtfertigt noch keine eigene Abteilung
Um ein breites Publikum am oberen Ende des Conversion Funnels anzusprechen, waren Unternehmen auf die teuren und knappen Slots der Massenmedien angewiesen. Die Kunst der Marketer bestand also in einer größtmöglichen Verdichtung der „Botschaft“ und darin, diese kohärent und markenkonform an den relevanten Touchpoints zu platzieren. Das 18/1-Plakat, der 30-Sekünder, die U4 und schließlich das Banner markierten die hohe Schule der klassischen Marketingkommunikation. Kreativagenturen entwarfen aufmerksamkeitsstarke und markenadäquate Sujets, Media-Agenturen sorgten für die virtuose Kombination der knappen Werbeslots entlang der Customer Journey.
Vieles davon ist noch heute so. Nur ganz anders. Es herrscht keine grundsätzliche Knappheit der Zugänge zum Publikum mehr. Und es gibt fast kein Publikum im eigentlichen Sinne mehr. Es wurde zu Gesprächspartnern. Dennoch bleibt die bekannte Architektur bestehen, und die darin etablierten Mechaniken haben noch ihren Sinn, solange es um Breitenwirkung geht. Klassische Werbung ist für viele Produkte am oberen Ende des Funnels nicht zu ersetzen.
Das spezifische Know-how, das nötig ist, um hier mitzuspielen, bezieht sich vor allem auf Markenaufbau und Markenführung einerseits sowie auf Media-Schaltung andererseits. Es empfiehlt sich also dringend, Teammitglieder mit entsprechenden Kenntnissen mit im Boot der neuen Kommunikationsabteilung zu haben.
Unternehmenskommunikation bedeutet doch in der Regel: Anwendung journalistischer Methoden
Die Arbeit in der Unternehmenskommunikation gestaltet sich in verschiedenen Unternehmen durchaus unterschiedlich. Die Regel ist, dass man sich hier um alle Kommunikationsaufgaben kümmert, die nicht „Marketing“ sind oder die mit dem Methodenwissen in der Marketingabteilung nicht gelöst werden können. Wie oben dargelegt, war die Denk- und Arbeitsweise der Marketingkommunikation determiniert von der gekauften Reichweite (Paid Media) als Flaschenhals für fast sämtliche Zielerreichungen. Die Unternehmenskommunikation demgegenüber ist traditionell darauf spezialisiert, ihre Zielpersonen auf anderem als gekauftem Wege zu erreichen, heute spricht man von Owned, Earned und Social Media.
Seit den Zeiten der knappen Zugänge zum Publikum besteht der alternative Weg neben den gekauften Werbeanzeigen darin, in das redaktionelle Umfeld der Werbung zu gelangen. Hierfür muss man allerdings auf Inhalte setzen, die das Publikum auch wirklich interessieren. Darüber, ob dies der Fall ist, hat regelmäßig ein Redakteur des jeweiligen Mediums zu entscheiden. Eine Veröffentlichung muss man sich durch harte Arbeit verdienen (Earned Media). Mancherorts heißt die Unternehmenskommunikation auch einfach „PR“. Da liegt der Gedanke nahe, sich über eigene Medien selbst eine Reichweite aufzubauen. Kein Wunder, dass Kundenmagazine aufgrund ihrer journalistischen DNA meistens im Ressort der Unternehmenskommunikation erstellt oder beauftragt werden – ebenso wie Mitarbeitermedien sowie Geschäfts- und CSR-Berichte (Owned Media). Drei Viertel aller strategischen Hebel der Kommunikation liegen also heute schon im Bereich der Unternehmenskommunikation und ihrer Denk- und Arbeitsweise. Schematisch betrachtet, müsste der kürzeste Weg zur Kommunikationsabteilung der Zukunft also darin bestehen, die Unternehmenskommunikation um den Bereich Paid Media und Markenführung zu ergänzen.
Das Marketing kapert die Unternehmenskommunikation
Die Schwerpunktverlagerung von der Botschaft der Marke hin zum Nutzen des Adressaten spielt stark in die Kompetenzfelder der Unternehmenskommunikation. Die Digitalisierung führt dazu, dass das Marketing deren Methoden kapern muss. Oder es verleibt sich gleich die ganze Abteilung ein und verheiratet die dort vorhandene Kompetenz des Storytellings, der redaktionellen Aufbereitung, der Leserorientierung mit dem eigenen Marken- und Mediawissen.
Die eingangs gestellte Frage, ob eine Trennung der Disziplinen noch sinnvoll ist, würde ich vor dem Hintergrund dieser Überlegungen klar mit „nein“ beantworten. Wie anhand des Planspiels aufgezeigt, halte ich es für einen gangbaren Weg, heute eine vereinte zentrale Kommunikationsabteilung einzurichten. Diese hat je nach Größe des Unternehmens vielleicht auch irgendwann nur noch die Strategieführerschaft und eine Coaching-Funktion inne, während das gesamte System dezentral arbeitet und marktspezifische Themen in der Peripherie behandelt werden.
Der entscheidende Vorteil dieses neuen Organisationsmusters besteht in der Effizienz, die durch das kombinierte Methodenwissen erreicht werden kann, und in der Effektivität, die dadurch entsteht, dass nicht nur Kanal-Silos sondern auch Abteilungsegoismen beseitigt werden.
Nun mag es eine Reihe Leser geben, die meine Beobachtung nicht in allen Punkten teilen können oder die sich eine genauere Differenzierung wünschen. Beides wäre nur allzu verständlich. An manchen Stellen musste ich einfach verkürzen, um Muster und Strukturen sichtbar zu machen. Für eine genauere Betrachtung, die sicherlich wertvoll wäre, müsste man zu allererst die Märkte differenzieren. Hier wird es Unterschiede zwischen B2B und B2C ebenso geben wie zwischen Herstellern oder Anbietern von FMCG, Investitions- oder Luxusgütern. Im Sinne einer gewissen Zuspitzung habe ich zudem darauf verzichtet, die Disziplinen Event, Direct Mail, Out of Home etc. stärker miteinzubeziehen. Aus strategischer Perspektive würde ich diese als Kanäle werten, durch deren Weglassen oder Hinzunahme sich strukturell nichts verändert.
Artikelbild: Martin Mummel/GRVTY
Eine schöne kompakte Analyse, Stephan!
Heute macht jeder „Content Marketing“. Und jede Disziplin wirft der anderen vor, in fremden Gewässern zu fischen.
Das erinnert mich an meine Zeit in einem großen Pharmakonzern. Mit unzähligen Spezialagenturen, die wie Putzerfische um den Hai herumschwammen. Die wollten gar nicht integriert arbeiten, weil sie Angst um ihre Deutungshoheit hatten. Und so verhält es sich auch in Unternehmen, wo jede Abteilung fein säuberlich ihre Zuständigkeiten absteckt.
Befindlichkeiten auf der Mikro-Ebene verhindern das Zusammenwirken auf der Makro-Ebene. Daran wird auch „Content“ nichts ändern. Aber es ergeben sich Chancen. Wenn Unternehmen bereit sind, Kommunikation neu zu denken.
Die Frage, die sich Unternehmen stellen sollten lautet nicht „Welche Abteilung kapert eine andere Abteilung?“, sondern „Welcher Wettbewerber kapert unser Unternehmen?“
Vielen Dank, Sascha Tobias!
Ich teile Deine Beobachtung bzgl. der Gepflogenheiten in großen Unternehmen. Mittlerweile gibt es aber auch eine Reihe von Beispielen, wo das Zusammenwachsen zu funktionieren scheint. Dazu fallen mir gerade die Deutsche Bahn und Haereus ein.
Davon abgesehen bin ich auch optimistisch, dass das Thema „Content“ ein Hebel sein wird, die Notwendigkeit des Wandels erfahrbar zu machen.
Glückwunsch, Stephan. Erwartungen in den Beitrag mehr als erfüllt.
Bei der strategischen Erarbeitung gehen wir teilweise ähnlich vor. Ich möchte an dieser Stelle keine Werbung für unsere Agentur machen, aber an der Grafik unter „Unsere Arbeitsweise“ wird deutlich, wie eng auch wir heutzutage sämtliche Instrumente und Überlegungen der Marketing- und Unternehmenskommunikation miteinander verbunden sehen:
http://www.fette-beute.com/agentur/
Am Anfang von allem steht die detaillierte Status Quo Analyse unter Einbezug sämtlicher Stakeholder eines Unternehmens. Daraus entwickelt sich eine Leitidee, die dann systematisch und Persona-orientiert gespielt wird, wobei Marketing und Unternehmenskommunikation Hand in Hand gehen.