Content im Vertrieb: Wie man den „Grüne-Bananen-Effekt“ vermeidet und seine Verkaufschancen steigert
Content hilft nicht nur dem Marketing bei der Kundenakquise. In ganz erheblichem Maße unterstützt qualitativ hochwertiger Content auch den Vertrieb: bei der Interessentengewinnung, bei der Leadqualifizierung und beim Abschluss. Individuell ausgesteuerte automatisierte Prozesse helfen dabei.
Im klassischen Vertrieb gehen die Anbieter meist von sich aus auf etwaige Kunden zu, was schon allein aus Datenschutzgründen zunehmend schwierig wird. Außerdem wehren sich die Menschen heftig, wenn sie ungefragt mit Werbung überfallen oder auf sonstige Weise unaufgefordert angesprochen werden. Und das mit Recht!
Ganz anders sieht die Sache im contentbasierten Leadmanagement aus. Statt mühsamer Kaltakquise mit vagem Adressmaterial kümmern sich die Vertriebsmitarbeiter hierbei fast nur noch um solche Interessenten, im Vertrieb „Leads“ genannt, die realistische Abschlusschancen bieten. So arbeiten alle viel effizienter, erfolgreicher und motivierter.
Dabei dient nutzwertiges Content-Material, das in den einzelnen Phasen eines Kaufentscheidungsprozesses bzw. der Customer Journey gezielt eingesetzt wird, quasi als Lockvogel. In einer meist mehrstufigen Abfolge wird es situativ angeboten und auf Wunsch ausgeliefert. So lassen sich Interessenten vorqualifizieren und sozusagen „heiß“ auf eine Zusammenarbeit machen.
Dieses Vorgehen funktioniert sowohl für Neu-Interessenten als auch für Bestandskunden, die ja quasi vor jedem Wiederkauf erneut zu Interessenten werden. Ab einer bestimmten Größenordnung ist das allerdings „von Hand“ nicht mehr rentabel zu leisten. Ausgeklügelte Marketing-Automation-Software wird dafür gebraucht.
Wie man den „Grüne-Bananen-Effekt“ eliminiert
Meist wird man im Zuge einer Nachfassaktion sofort von einem Vertriebsmitarbeiter kontaktiert, vor allem im B2B. Oft genug reagieren die Angesprochenen darauf „verschnupft“, weil sie zunächst nur etwas lesen und nicht sogleich bequatscht werden wollen. Dabei liegt das eigentliche Problem weder beim Interessenten noch bei der Vertriebskompetenz, sondern beim Zeitpunkt und der Vorgehensweise.
Wir nennen das den „Grüne-Bananen-Effekt“. Beißt man in so eine unreife Frucht, schmeckt diese nicht. Sie braucht Zeit, um zu reifen. Bei Interessenten ist es praktisch genauso. Zwecks „Reifung“ werden sie zunächst „genurtured“, das heißt, mit weiteren passenden Informationen in Form von relevantem Content versorgt. Indem der Interessent jeweils zeigt, wofür er sich ganz genau interessiert, qualifiziert er sich selbst.
Dazu fragen wir uns:
- Wo bewegen sich unsere Wunschinteressenten bei ihrer Suche?
- Welche Touchpoints steuern sie dazu an und wie können wir sie dort gut erreichen?
- Welchen Kaufprozessen folgen sie im Detail?
- Welchen Content brauchen sie jeweils dafür?
- Wie und wann entscheiden sie sich?
Aus diesen Erkenntnissen entsteht ein zuverlässiger Fahrplan für die zukünftigen Leadmanagement-Aktivitäten.
Lead Nurturing: Interessenten mit Inhalten nähren
Was Lead-Nurturing-Prozesse tun? Sie entwickeln Interessenten vom Erstkontakt bis zur Vertriebsreife. „Nurturn“ heißt so viel wie nähren oder anreichern. Man versorgt also Interessenten an der richtigen Stelle und zum richtigen Zeitpunkt mit relevanten, aufeinander aufbauenden Inhalten, die diese brauchen können und haben wollen.
Das können zum Beispiel Reportagen über Kundenprojekte, Fallstudien, FAQs, Whitepapers, E-Books, Erklärfilme, Trendreports, Szenario-Papiere, Anwenderberichte, Ratgeber, Leitfäden, Infografiken, Podcasts, Webinare und viele andere Formate sein.
Nimmt der Interessent ein Content-Angebot an, muss er dafür mindestens seine E-Mail-Adresse und sein Opt-in angeben. Das Opt-in ist ein Zustimmungsverfahren, mit dem der Interessent ausdrücklich die Kontaktaufnahme via E-Mail erlaubt.
Danach startet eine vordefinierte Abfolgekette, die dem Interessenten automatisiert weitere für ihn relevante Informationen offeriert. So wird er vorqualifiziert und „vertriebsreif“ gemacht. Ist ein im sogenannten Lead Scoring definierter Schwellwert erreicht, werden die Leads dann vom Marketing an das Vertriebsteam übergeben.
Lead Nurturing: Welche Nurturing-Arten es gibt
Lead-Nurturing-Prozesse kann man zum Beispiel mit folgenden Nurtures gestalten:
- Welcome-Nurtures: Mit solchen Nurtures begrüßt ihr Interessenten, die erstmals mit euch Kontakt aufnehmen. Hier stehen vor allem nutzwertige Erstinformationen im Vordergrund. Sie machen zudem Hunger auf mehr.
- Themen-Nurtures: Damit führt ihr den Interessenten in die Themenwelt des Unternehmens ein. Dazu bietet ihr am Anfang allgemeine Informationen, die im Verlauf der Kampagne immer spezifischer werden und sich in unterschiedliche Bereiche verzweigen können.
- Produkt-Nurtures: Interessiert sich jemand für ein spezifisches Produkt, eine Serviceleistung oder eine Lösung aus eurer Angebotspalette, kommt eine Produkt-Nurturing-Strecke zum Einsatz. Auch hier gibt es am Anfang allgemeine Informationen, die im Verlauf immer spezifischer werden. Achtung! Ego-Content vermeiden. Der Nutzwert steht an erster Stelle.
- Wake-up-Nurtures: Mit diesem Nurture reaktiviert ihr Interessenten, die während einer Nurturing-Kampagne ausgestiegen sind, also irgendwann nicht mehr reagiert haben.
- Sales-Nurtures: Das sind Nurtures, die einen länger andauernden Verkaufsprozess unterstützen, weil zum Beispiel langwierige kundeninterne Abstimmungsmaßnahmen notwendig sind. Dies lässt sich durch passendes Content-Material unterstützen. Solche Nurtures dürfen allerdings nur vom jeweils zuständigen Vertriebsmitarbeiter ausgelöst werden.
- Warm-up-Nurtures: Mit diesem Nurture erweckt ihr Interessenten wieder zum Leben, die im Verhandlungsverlauf eine Entscheidung zurückgestellt haben oder aus anderen Gründen während des Entscheidungsprozesses verloren wurden. Sie sollten niederfrequentig versandt werden und dem Interessenten freundliche kleine Anstupser geben, das besprochene Thema erneut anzupacken.
Wie man bereits an dieser Übersicht sieht, lassen sich Lead-Nurtures für viele Anwendungsfälle kreieren.
Leadqualifizierung: Wie diese gut gelingt
Um qualifizierte Informationen über den Interessenten zu gewinnen, ohne ihn zu bedrängen, stellt man in jeder Nurturing-Stufe kluge Fragen und baut mit verschiedenen Informationsangeboten „Weichen“ auf. Das können Themen-, Branchen-, Anwendungs- oder Produktweichen sein.
Bietet man beispielsweise einen Leitfaden für den Einsatz eines Software-Tools an, dann kann der Interessent einen der folgenden Bereiche anticken – und sogleich wisst ihr mehr über ihn:
- Software-Tools im Anlagenbau
- Software-Tools in der Pharma-Branche
- Software-Tools im Konsumgüterbereich
- …
Lädt sich der Interessent ein erstes Dokument herunter, dann fragt ihr ihn nach weiteren Themen, die ihn interessieren könnten:
- IT-Security
- Cloud-Technologie
- Digitalisierung
- IoT – Internet of Things
- …
Im Verlauf des Lead Nurturing könnt ihr dem Interessenten im passenden Moment zum Beispiel auch folgende Frage stellen:
Ihre Position im Unternehmen:
- Geschäftsführung
- Marketingleitung
- Vertriebsleitung
Konkretisiert sich ein Vorhaben, ist eine Beantwortung der folgenden Frage für alle Beteiligten sicher sehr hilfreich:
Wann möchten Sie das Projekt realisieren:
- Innerhalb von 3 Monaten
- Innerhalb von 12 Monaten
- Innerhalb von 24 Monaten
Damit kein „heißer“ Interessent verloren geht und womöglich beim Wettbewerb kauft, wird eine „Sales Fast Lane“ installiert. Sie ist die Überholspur direkt zum Vertrieb.
Für ganz „heiße“ Interessenten: die Sales Fast Lane
Die Sales Fast Lane wird realisiert, indem man dem Interessenten in jeder Automatisierungsstufe solche Optionen vorschlägt, die seine grundsätzliche Kaufbereitschaft – und damit die Vertriebsreife – testen. Dazu bietet man in jeder Nurturing-Stufe Beratungsgespräche oder ein Angebot an. So steuert der Interessent selbst, wann er einen ersten direkten Kontakt zum Vertriebsteam haben will.
Content-Bausteine, die auf Vertriebsreife schließen lassen? Das kann zum Beispiel ein Umsetzungswebinar oder eine detaillierte Checkliste für die Auswahl einer Lösung sein. Reagiert der Interessent nicht auf dieses Angebot, dann ist er noch nicht bereit. In dem Fall wird er auch nicht sonderlich begeistert sein, wenn sich plötzlich ein Vertriebsmitarbeiter meldet, um mit ihm zu verhandeln.
Dem ersten Content-Baustein kommt bei all dem eine ganz besondere Bedeutung zu. Wenn einer der folgenden Bausteine nicht gut funktioniert, könnt ihr Alternativen anbieten oder in späteren Phasen des Kaufprozesses den Interessenten anrufen. Funktioniert hingegen der erste Content-Baustein nicht, bleibt der Angesprochene in der „Deckung“.
Er gibt sich nicht zu erkennen, denn er gibt seine Daten nicht preis. Von daher bleibt er unerreichbar. Überlegt also gut, welche Content-Perle ihr in der ersten Stufe zur Schau stellen wollt. Hierbei macht sich ein detailliertes Buyer-Persona-Profil bezahlt. Habt ihr dort ausreichend Informationen gesammelt, lassen sich attraktive Inhalte nun punktgenau präsentieren.
Sparsamkeit bei der Datenabfrage ist ein Muss
Oft gibt es interne Diskussionen darüber, wie viele Informationen bei der allerersten Anforderung von Content-Material auf einer dazugehörigen Landingpage abgefragt werden sollen. Mal ganz abgesehen vom gebotenen Sparsamkeitsprinzip bei der Erfassung von Kundendaten solltet ihr jeweils nur solche Interessenten-Daten erfassen, die im jeweiligen Stadium einer Content-Strecke tatsächlich benötigt werden.
Es muss also genau definiert werden, welchem Zweck die Datenabfrage an einem jeweiligen Punkt dient. „Auch wenn ein berechtigtes Interesse vorliegt oder die Einwilligung des Betroffenen korrekt eingeholt wurde, können nicht wahllos Daten abgefragt werden. Der Grundsatz der Datensparsamkeit muss trotzdem beachtet werden, und es könnte bei einem Verstoß trotz Vorliegen einer Einwilligung ein Bußgeld verhängt werden“, mahnt Rechtsanwältin Sabine Heukrodt-Bauer von Resmedia in unserem aktuellen Fachbuch „Marketing-Automation für Bestandskunden“ (Haufe, 2017).
Wenn ihr zum Beispiel in der ersten Stufe einen PDF-Leitfaden anbietet, benötigt ihr die postalischen Daten des Interessenten noch nicht. Wenn der Interessent das Angebot der „Sales Fast Lane“ nicht gleich annimmt, ist auch die Telefonnummer noch nicht nötig.
Datensparsamkeit sichert die Umwandlungsrate
Je mehr Informationen ihr gleich zu Beginn abfragt, desto schlechter wird auch die Konversionsrate sein. Das heißt: Wer sofort viel von einem Menschen wissen will und ihn neugierig ausfragt, verscheucht diesen womöglich. Lädt der Interessent also das angebotene PDF unter diesen Umständen nicht herunter, ist er für die kompletten weiteren Ansprachen verloren.
Am besten erfragt ihr in der ersten Kontaktphase nur die E-Mail-Adresse und das Opt-in. Natürlich wollt ihr mehr über den Interessenten erfahren. Diese zusätzlichen Informationen erfasst ihr aber erst in einem zweiten oder dritten Schritt des Nurturing-Prozesses. Dann habt ihr das Opt-in, und die Person hat die Datenschutzerklärung akzeptiert.
Die allermeisten Interessenten werden mehr Informationen preisgeben, wenn sie sich weiter in den Vorkaufprozess hineinbewegt haben. Je besser die Erfahrungen des Interessenten mit euren (hoffentlich) substanziellen Content-Bausteinen sind, desto mehr Vertrauen entsteht. Und dieses Vertrauen fördert die Bereitschaft, Daten anzugeben. Ihr „verdient“ euch quasi Schritt für Schritt die Wunschinformationen.
Mehr und mehr Daten: das Progressive Profiling
Das stufenweise Ergänzen eines Interessentenprofils nennt man „Progressive Profiling“. Um die Konvertierungsrate in der ersten Stufe nicht zu gefährden, erfragt ihr zunächst also nur die E-Mail-Adresse und das Opt-in – und wenn es um eine personifizierte Ansprache geht, den Namen und das Geschlecht. Erst in den folgenden Phasen des Nurturing-Prozesses bringt ihr weitere Daten des Interessenten in Erfahrung.
Achtung! Im Rahmen des Progressive Profiling muss zuverlässig abgespeichert werden, welche Fragen der Interessent bereits beantwortet hat und welche Content-Bausteine schon heruntergeladen oder angefordert worden sind. Das ist wichtig, damit man dem Interessenten keine Fragen erneut stellt, die er schon beantwortet hat.
Darüber hinaus sollte er auch keinen Content mehr angeboten bekommen, den er nun schon besitzt. Einige Marketing-Automation-Plattformen unterstützen dieses überaus sinnvolle Vorgehen mit entsprechenden Funktionen. Dort können zu den jeweiligen Fragen und Content-Bausteinen auch Alternativen definiert werden.
Wie es dann weitergeht? Mithilfe präzisierender Lead-Scoring-Methoden wird die Vertriebsreife eines Leads definiert. Ist der vorgegebene Schwellwert erreicht, werden sie vom Marketing an das Vertriebsteam übergeben. Dieser Prozess wird Lead Routing genannt.
Wir verlosen drei Exemplare von „Marketing-Automation für Bestandskunden“ von Anne M. Schüller und Norbert Schuster. An der Verlosung nehmen automatisch alle teil, die unter diesem Beitrag einen (hoffentlich intelligenten) Kommentar gepostet haben – dieser kann selbstverständlich auch eine Frage an die Autorin beinhalten. Einsendeschluss ist der 15. Januar 2018. Danach werden die drei Gewinner per Auslosung ermittelt und informiert. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Artikelbild: Martin Mummel/GRVTY
Ich habe schon das Buch „Touch.Point.Sieg. “ von Anne M. Schüler gelesen und war begeistert. Ein ganzheitlicher Ansatz zur Betrachtung der Customer Journey. Das erwarte ich mir auch von diesem Buch und würde mich super freuen, es direkt im neuen Jahr als erstes Buch lesen zu können.
Marketing Automation wird immer wichtiger und ist m.E. mehr als einfach nur mal eine festgelegte Mailfolge zu versenden. Gerade unsere Bestandskunden wollen wir an unser Unternehmen binden und zu glücklichen Kunden machen.
Danke, das freut mich.
Hallo Frau Schüller, erstmal vielen Dank für den umfassenden Artikel. Was mir etwas fehlt sind konkrete Strategien zur Umsetzung, also genauer gesagt Tools. Was würden sie hier vorschlagen?
Hallo Eric, wie man das konkret umsetzen kann, das ist natürlich von Unternehmen zu Unternehmen verschieden. Im Buch gibt es eine ganze Reihe von Beispielen dazu.
Sehr interessanter Beitrag. Klingt sehr nach der großen Lösung, bei der kleinere Unternehmen schnell kopfschüttelnd vor einem Berg an Aufwand stehen. Ich bin sehr gespannt, ob es Parallelen zu meinem Ansatz triggerbasierter, personalisierter E-Mails als Ersatz statischer Newsletter gibt.
Natürlich. Für kleine Unternehmen mit einer handverlesenen Zahl an Kunden ist das nicht passend. Für größere KMU aber sehr wohl.
Ich finde ja den Grünen-Bananen-Effekt ja ein sehr schönes Bild ;-) Sehr schöner und hilfreicher Artikel. Über das Buch würde ich mich sehr freuen.
Der Artikel macht Lust auf mehr!
Ich verfolge dieses Thema seit einiger Zeit mit absoluter Begeisterung und plane für 2018 den Einsatz einer Marketing Automation Lösung in meinem Unternehmen.Über das Buch würde ich mich sehr freuen, um noch tiefer in dieses hochspannende Thema einsteigen zu können.
Immer ein spannendes Thema und vor allem eines, das zukünftig an Bedeutung gewinnen wird. Danke für den interessanten Artikel! Für mich ist eine der größten Herausforderungen der Marketing-Automation, dass man oft erst beim Erstellen der automatisierten Logiken draufkommt, wie komplex eigentlich manche Buyer Journeys im B2B sind.
Meine Erfahrungen sind genau die gleichen. Das gleiche bei den Touchpoints. Viele Unternehmen denken, das sind höchstens ein paar Dutzend . Dabei sind es oft hunderte.
Hallo Frau Schüller, ein toller Artikel – sicher interessanter Ansatz auch zum digitalen Brand-Building. Gibt’s speziell zum Thema Brand-Building mehr aus Ihrem Köcher?