Mörderische Spannung: Was Krimis und Marketing-Texte verbindet
Ein ohrenbetäubender Knall. Krähen stieben aus den Baumkronen auf. Sein Blick folgt dem Qualm, der wie eine sterbende Seele in Richtung Himmel steigt. Alles um ihn herum versinkt in Bedeutungslosigkeit. Zeit ist ein Luxus, den er sich jetzt nicht mehr leisten kann. Verdammt, denkt er, hätte ich das Mofa bloß früher in die Werkstatt gebracht.
Welche Szene hattest du vor Augen? Dachtest du tatsächlich an einen Mann mit kaputtem Mofa? Oder an das Opfer eines Mordes, das in den Lauf einer Pistole blickt?
Tatort Markenbotschaft
Sollen die Handschellen klicken. Solange ich die Verhaftung mit meiner Hobby-Spürnase zwischen zwei Buchdeckeln verfolge. Denn unser Gehirn reagiert auf Bilder, egal ob sie auf der Leinwand oder in unserem Kopf entstehen. Leser übersetzen Worte auf Papier in Vorstellungen, die den Puls nach oben treiben.
Der Autor zieht dabei zwar die Fäden, bleibt aber im Hintergrund. Allein die Botschaft zählt. Ziel ist der Mandelkern des Empfängers, der Planet Amygdala. In diesem Teil des Gehirns werden Ereignisse mit Emotionen verknüpft. Also auch der Nervenkitzel beim Lesen von Krimis.
Um den Gemeinsamkeiten von Krimis und Marketing auf den Grund zu gehen, habe ich mit Autoren gesprochen, die mit beiden Welten bestens vertraut sind: Peter Stjernström, Uli Paulus, Helmut Wichlatz und last but not least dem Autorenduo Katrin Hanke & Claudia Kröger.
Damit der Anflug auf die Amygdala gelingt, müssen Autoren die Seiten wechseln. Das gilt auch im Marketing, wie der schwedische Bestseller-Autor und Werbetexter Peter Stjernström weiß:
Versuche immer, das Produkt, die Brand oder was auch immer du versuchst zu verkaufen aus der Perspektive des Lesers zu sehen. Was würde ihn WIRKLICH interessieren (nein, nicht deinen Chef oder Klienten)? Verbringe Zeit mit dem Recherchieren von Fakten und Gefühlen. Dann folge deinem Bauchgefühl, schreib den Text, lies ihn laut für dich selbst vor und schreibe ihn neu. Und der wichtigste Teil des Prozesses – verteidige ihn!
Manche Marketingtexte bleiben allerdings so schwer verdaulich wie ein falsch dosiertes Medikament. Und die Nebenwirkungen sind zahlreich:
- Lustlosigkeit
- Desinteresse
- Ärger über verlorene Zeit
- Langeweile
Leider liegt den wenigsten Texten eine Packungsbeilage bei. Das beste Antidot gegen Zeitdiebe bleibt die Spannung. Dann kann selbst eine öde Fahrt auf dem Mofa beinahe so packend wie die Jagd nach einem Killer werden. Ganz so leicht wie sie klingt ist die Angelegenheit aber nicht.
Es ist nicht einfach, denn …
… Marketingtexte haben dem Autor, Journalisten und PR-Texter Helmut Wichlatz zufolge eine größere Hürde zu meistern als Unterhaltungsliteratur:
An sich haben Marketingtexte es ja schwerer als Krimis oder Literatur im Allgemeinen. Denn die will man zumeist ja lesen. Der Werbetext muss jedoch erst überzeugen, dass es sich lohnt ihn zu lesen. Und dafür kann er auf die dramaturgischen Mittel des Krimis oder der Romantikschmonzette zurückgreifen.
Von großer Bedeutung ist daher die Nähe, wie der erfahrene Krimi-Autor und Leiter einer Werbeagentur Uli Paulus bestätigt:
Das etwas überbeanspruchte Schlagwort hierzu ist sicher „Stoytelling“. Erzähle nicht vom Produkt, sondern von der Geschichte ums Produkt, vielleicht vom Menschen, der es nutzt oder von der Umgebung, in der es eingesetzt wird. Schaffe und beschreibe Anwendungssituationen, die packend sind und emotional berühren. Bleibe nicht abstrakt, sondern stelle den Produktnutzen anhand von konkreten Beispielen dar. Erzähle, statt aufzuzählen. Und stelle Menschen und deren Erleben in den Mittelpunkt Deiner Texte.
Was aber können Marketer und Autoren konkret tun, um ihre Texte spannender zu machen? Branchenkenner geben spannende Antworten auf diese Frage.
AUTORENTIPPS
Peter Stjernström
- Ohne Aufmerksamkeit kann keine Kommunikation stattfinden. Stelle dir die Situation wie ein Gespräch beim Abendessen vor. Sei nicht der langweilige Typ, der alles bei Wikipedia nachschlägt. Sei die Person, die Interesse an anderen zeigt, die Fragen stellt und interessante Geschichten erzählt. Wenn du im echten Leben nicht dieser Typ sein kannst, versuche zu schreiben.
Uli Paulus
- Jeder Satz sollte dazu animieren, den nächsten zu lesen und so weiter. Im Krimi gibt es wohl grob zwei Ebenen, um Spannung zu erzeugen. Die eine ist die inhaltliche – also die Handlungsführung. Die zweite Ebene ist die sprachhandwerkliche: Da denke ich, dass man Spannung zum Beispiel durch kurze Sätze, überraschende Interpunktionen, innere Monologe und erlebte Rede erzeugt. Ein Marketingtext wird spannend, wenn er eine Geschichte erzählt, statt nur Produktmerkmale aufzuzählen.
Katrin Hanke und Claudia Kröger
- Der Text für eine umfangreiche Imagebroschüre ist etwas anderes als der Text für ein knackiges Facebook-Posting. Schreibe verständlich, d. h. setze möglichst wenig Fremdwörter ein und baue keine zu verschachtelten Sätze, damit der Leser sich nicht anstrengen muss und ihn nichts von deiner Geschichte ablenkt.
Helmut Wichlatz
- Mit einem Feuerwerk starten und sich dann steigern. So lautete der ernstgemeinte Rat eines großen amerikanischen Krimiautors. Und den sollte man sich zu Herzen nehmen. Man muss es am Anfang krachen lassen – Wortwitz, eine gute Idee und die Chuzpe, beides zu einem Text zu verbinden, bei dem nicht zwangsläufig Benefits und Features im Vordergrund stehen müssen. Und wenn sie es tun, dann am besten so strange, dass man aus Neugier oder Verwirrung weiterliest.
Wie wichtig hierbei die passende Ansprache ist, weiß das Autorenduo Kathrin Hanke und Claudia Kröger:
Wie ein Logo und die Corporate Identity sollte auch ein eigener Schreibstil entwickelt werden, der jedoch eingängig ist. Alles sollte so geschrieben sein, als ob man etwas seinem Freund erzählt – das schafft Sympathie und Nähe. So bleibt das, was man zu erzählen hat, auch immer besser im Gedächtnis.
Zahlen und Fakten allein locken keinen hinter dem Ofen hervor. Packende Krimis hingegen saugen uns in die Handlung, ihre Figuren leben. Und allzuweit sind Krimis nicht von einem sehr bekannten Modell im Marketing entfernt.
AIDA-Prinzip und 5 Akte
Attention, Interest, Desire und Action – kein Marketer kommt um das AIDA-Prinzip herum. Und die Überschneidungen mit der 5-Akt-Struktur bei Krimis sind verblüffend.
1. Akt: Einführung von Figuren und Konflikten
Auf der ersten Seite muss ein Mord passieren – ein klassischer Tipp, der angehenden Krimi-Autoren mit auf den Weg gegeben wird. Ob das wirklich so sein muss, sei dahingestellt. Viel wichtiger lautet das dahinterstehende Prinzip: Aufmerksamkeit.
Leser sind Kunden, und Kunden werden heutzutage mit Texten überschüttet. Jedes Buch in der Auslage schreit: Lies mich! Da braucht es einen furiosen Knall zu Beginn, um den Leser zu kaschen.
2. Akt: Komplikation
Die Ermittlungsarbeit stockt. Zeugen verweigern die Aussage. Alle bisherigen Spuren verlaufen im Sande, erweisen sich als Finten. Und der Mörder begeht unbehelligt seine Verbrechen. Die Spannung und damit das Interesse steigen.
3. Akt: Zuspitzung des Konfliktes
Eine bahnbrechende Information bringt den Stein ins Rollen. Der Aufenthaltsort des Killers wird bekannt. Der Leser sehnt sich nach dem Platzen des Knotens, mit zitternden Fingern jagt er über die Seiten, um endlich zu erfahren, wie die Geschichte ausgeht.
Was folgt, ist Action pur: Das Spezialeinsatzkommando umstellt das Haus, in dem der Psychopath sich zusammen mit einer Geisel verschanzt hat. Die Spannung steigt ins Unerträgliche.
Bis hierhin ähneln sich AIDA-Modell und 5-Akt-Struktur. Doch der Krimi geht noch zwei Schritte weiter.
4. und 5. Akt: Entschleunigung und Auflösung
Die Gefahr ist gebannt. Der Leser wird abgeholt und sanft zum Ausgang der Geschichte geführt. Dies ist in Marketingtexten jedoch anders – der erste Akt bildet den Schwerpunkt der Bemühungen. Es geht um die weiter oben beschriebene Aufmerksamkeit. Und die wird durch ein Wechselspiel in unserem emotionalen Erleben getriggert.
Der Antrieb dahinter: Schmerz und Freude
Sowohl Marketer als auch Krimi-Autoren nutzen die beiden Ur-Antriebsfedern des Menschen: Schmerz und Freude.
Diäten werben nicht mit dem BMI. Das wäre ja in etwa so wirksam, als würde man Raucher mit abstoßenden Bildern entwöhnen. Entscheidend für beide Gattungen ist das Klima, wie auch Stjernström bestätigt:
Die Atmosphäre ist in allen Texten wichtig. Generell versuche ich, ein gewisses Level an Coolness und Smartness mithilfe hoher Geschwindigkeit zu erreichen. Bei den seltenen Gelegenheiten, wo mir das gelingt und ich den Leser mit Emotionen fülle, kann das Ergebnis sehr gut sein. Geschwindigkeit und Herz sind also die Schlüsselfaktoren.
Gute Marketer drücken den Finger in die Wunde. Du fühlst dich zu fett? Dann buche jetzt unseren Fitnesskurs! Du bist 9-to-5 leid und willst als digitaler Nomade leben? Dann nimm am Webinar teil!
Profis wissen, dass der Schmerz nur der Startpunkt ist, an dem der Leser abgeholt wird. Das Ziel ist die Freude.
Im Krimi ist es ähnlich: Wie wird die Geschichte ausgehen? Bringen Fehler den Mörder in die Zwickmühle? Kann der Kommissar seine Sauferei rechtzeitig in den Griff bekommen? Und wird der Mörder endlich geschnappt? Lies weiter bis zur erleichternden (Auf-)Lösung!
Und die Moral von der Geschicht?
Über Ethik im Marketing müssen wir streiten. Denn es geht nicht um Aufmerksamkeit um jeden Preis. Ein Verbrechen darf sich höchstens im Krimi ereignen. Nicht aber in den Köpfen der Menschen, die dann allen Grund haben, sich manipuliert zu fühlen.
Mutig dürfen und müssen Autoren beider Sphären dennoch sein. Hierfür hat Helmut Wichlatz einen Tipp parat, der sowohl für Krimi-Autoren als auf für Marketingtexter gilt:
Der Texter darf sich nicht zu fein sein. Im Vordergrund sollte unbedingt die Idee stehen. Sie muss neu sein oder so provokativ, dass der Leser von ihr in den Bann gezogen wird. Was hat man schlimmstenfalls zu verlieren. Einen Leser, so what?!
Das Ende
Wie geht es eigentlich unserem Pechvogel vom Anfang des Artikels? Der schiebt sein Mofa weiterhin zähneknirschend durch den Schlamm. Zu allem Übel beginnt es auch noch zu regnen. Plötzlich entdeckt er eine Gestalt im Dunkeln. Sie hält einen schweren Gegenstand in der Hand und kommt in schnellen Schritten auf ihn zu.
Er will fliehen, aber er ist zu erschöpft. Und erleichtert, dass es sich bei der unbekannten Gestalt um eine hübsche Helferin mit Werkzeugkoffer handelt. Gut, denkt er, dass ich das Mofa nicht früher in die Werkstatt gebracht habe.
Artikelbild: Martin Mummel
Sehr gut auf den Punkt gebracht, Herr Brückner! Wenn Sie mit den anderen ebenso lange gesprochen haben wie mit mir, haben Sie scheinbar bei allen das Beste rausgeholt. Chapeau!
Herzlichen Dank, Herr Wichlatz. Ich finde es spannend, wie vielfältig die Antworten und Tipps ausgefallen sind. An dieser Stelle daher nochmal danke an Sie und die anderen Autoren!
Na, Sie sind mir ja einer, Herr Quinkert …. ;-)
Hallo. Gute Geschichte, die ich inhaltlich teile.
Probleme sehe beim eigenen Chef und beim Chef des Kunden (Auftraggeber). Die müssen das erstmal akzeptieren. Den eigenen Text verteidigen? Wenn die Chefs das übliche Marketing-Getrommel und die üblichen Marketing-Parolen wollen?
Man drängt ja auch eine Idee nicht am Briefing vorbei auf. Aber als Schreiber sollte man immer das beste/innovativste/aufmerksamkeitsstärkste/kreativste Produkt im Sinn haben – wenn die Zeichen dafür günstig stehen. Ob sie das tun, hängt auch davon ab, wie erfolgreich die eigene Vorarbeit zu dem Thema war. Ansonsten gilt die alte Texterweisheit: Die besten Ideen sind für die Tonne!