Wie die Customer Journey keine Reise ins Ungewisse wird
Kunden sind individuell zu bespaßen – personalisiert, kanalübergreifend und wann sie es wollen. Für die distribuierten Inhalte bedeutet das, auf gleich dreifache Weise „richtig“ sein zu müssen: richtig gut sowie zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Nennen wir diese drei Herausforderungen (bzw. 3 Fragezeichen) Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews. Viele Unternehmen haben das verstanden, ihre bisherigen Denkmuster aber trotzdem nicht abgelegt. Die steigende Anzahl an Touchpoints und Endgeräten plus die Unschärfe an verfügbaren Daten machen die Modellierung der Customer Journey beinahe unmöglich. Selbst wenn sich Unternehmen und Marken den Kunden radikal verschreiben würden.
Customer Journey Touchpoints – immerzu neue Trampelpfade
Berührungspunkte zur Customer Journey gibt es im wahrsten Wortsinne unendlich viele. Die Digitalisierung lässt die Anzahl der Touchpoints zwischen Mensch und Marke schier explodieren. In einem W&V-Beitrag ist die Rede von 125 Portalen und Plattformen sowie 180 Touchpoints, die ein Kunde bei seiner „Reise ins Ich“ durchläuft. Leider erhielt ich bis heute von der Autorin keine Antwort auf die Frage der Herkunft dieser Kennzahlen.
Das Branchenmagazins absatzwirtschaft beziffert die Kontaktpunktanzahl sogar auf bis zu 300. Umso schwerer wiegt es, dass die Performance einzelner Kontaktpunkte eher lax gemessen wird und ein beachtlicher Anteil des Marketingbudgets in für Kunden irrelevante Touchpoints fließt.
Zu den klassischen Medien wie TV, Radio, Print, Außenwerbung, Point of Sale und Hotline. Gesellen sich Wikis, Networks, Blogs, Foren, Websites und Messenger – nur um einige Informationsquellen oder Interaktionsmöglichkeiten zu nennen.
Beispiel einer „klassischen“ Customer Journey
Ein Hobbygärtner erfährt auf einer 80er-Jahre-Party in einem unverfänglichen Plausch mit dem ehemaligen Zimmernachbarn von der Existenz eines neuen, speziellen Gartengeräts. Davon angefixt, stößt er in einem gängigen Meinungsforum auf reges Interesse und positive Signale der Community. In einem Prospekt des ortsansässigen Baumarktes, welches als Sonderausgabe der Tageszeitung beiliegt, findet er parallel dazu technische und monetäre Eckdaten zum Produkt. Erneut erhöht sich sein Interesse, weshalb via Google die Meinungen und Erfahrungswerte Gleichgesinnter in einem Bewertungsportal herangezogen werden. Nun ist er vollends überzeugt und sich hundertprozentig sicher, das Gerät unbedingt erstehen zu wollen. Er besucht umgehend die Website des Herstellers und informiert sich dort abschließend, wo er das Gartengerät seines Vertrauens beziehen kann. Einige Klicks später hat der Customer bei einem der angepriesenen Online-Shops eine Bestellung vorgenommen.
Definition und Verständnis von Customer Journeys
Letztendlich entstehen Touchpoints überall dort, wo potenzielle oder bestehende Kunden mit einem Unternehmen und seinen Produkten, Marken, Services oder Mitarbeitern in Kontakt kommen respektive treten können. Einzig die dabei entfachten Emotionen entscheiden darüber, wie intensiv, nachhaltig oder relevant die Begegnung ist oder wirkt.
Achtung (unbezahlte) Werbung: Eine schön kitschige Visualisierung einer digitalen und mobilen Customer Journey.
Ich habe das obige Beispiel aus mehreren Gründen gewählt. Zum einen gefällt mir die Kombination aus „echter“ Reise – also Campingurlaub – und virtueller sowie persönlicher Lebensreise. Emotional, wenngleich etwas übertrieben dargestellt, enthält der Spot Spuren von Storytelling. Zum anderen werden hier ganz verschiedene Touchpoints aufgezeigt, wie z. B. Smartphone, Online-Shop und Café. Erneut wurden hier zwei Dinge miteinander kombiniert: nämlich analoge und digitale Kanäle. Für mich ist es aber allein deshalb schon ein schöner Beitrag, weil wunderbar auf die Möglichkeiten des Kundendialogs via Messenger hingewiesen wird.
Entstehung neuer Plattformen, Formate und Verhaltensweisen
Die Entstehung neuer Plattformen und Formate, die Vielfältigkeit der Touchpoints und das „selbstbewusstere“ Nutzerverhalten tragen massiv zur Entwicklung der Customer Journey bei. Alle genannten Einflussfaktoren kontinuierlich und in gleichbleibend hoher Qualität zu bespielen, kann den Unternehmen dabei jedoch überhaupt nicht gelingen. Und den steigenden Bedürfnissen vollständig gerecht zu werden (und sich das einzugestehen) wohl ebenso wenig.
Hinzu kommt mit Dark Social und Adblockern die dunkle Seite der Macht. In den Messenger-Diensten wie WhatsApp oder Snapchat finden die Unternehmen derzeit so gut wie gar nicht statt – oder aber von den Usern bewusst ignoriert bzw. als nicht vertrauenserweckend oder irrelevant eingestuft. Außerdem wird mit der Anwendung von Adblockern die Messbarkeit des Online-Marketings ad absurdum geführt. Wie sollen die Unternehmen denn so die moderne Customer Journey analysieren oder begleiten, geschweige denn auf sie einwirken können?
Exkurs: Dark Social und der Marketer-Blick in die Glaskugel
Diese Umstände machen eines deutlich: Es wird für die Marketer zunehmend komplizierter, sich zu entscheiden, in welche Kontaktpunkte sie investieren sollen – oder in welche besser nicht. Dabei gilt es, einen Wandel im Mindset der Organisation, klare Verantwortlichkeiten, interne Strukturen und Prozesse sowie eine ganzheitliche Zielvereinbarung und Strategie herbeizuführen. Kurzum, alte Verhaltensmuster aufzubrechen und das Silodenken zu überwinden.
Apropos Facebook: Es wird dich nicht überraschen, dass der blaue Riese so ziemlich alles über dich weiß. Aber hast du auch gewusst, dass laut einer Analyse der Washington Post rund 100 unterschiedliche Datenpunkte genutzt werden, um eine optimale Zielgruppen-Ansprache zu gewährleisten?
Die Customer Journey ist selten ein geradliniger Weg
Torschlusspanik, Flugangst oder Heimweh sind wahrlich keine guten Begleiter für einen erholsamen Urlaub im Zuge der Customer Journey. Und bislang habe ich leider noch keinerlei Anlass zur Freude hinsichtlich etwaiger Problemlösungen versprühen können … Das wird sich nun ändern!
Ja – doch. Es sind gewisse Unterschiede beim Umgang mit der Customer Journey zu erkennen. Unterschiede bei der unternehmerischen Herangehensweise und Bedeutungsbeimessung oder, im übertragenen Sinne, der Wertschätzung gegenüber des Kunden. Diese Erkenntnis kam mir (nicht zuletzt) bei der Recherche zu diesem Beitrag und insbesondere im Rahmen eines beruflichen Terminmarathons vergangene Woche – war ich doch quasi direkt betroffen, mittendrin statt nur dabei, durchlebte meine ganz persönliche Kundenreise. Perlen für die Säue, Futter für den Text.
Beispiel einer „aktuellen“ Customer Journey
Ein zweifacher Familienvater lässt wieder einmal sein Handy auf dem Couchtisch liegen und nickt gelangweilt vor dem Fernseher ein. Über einen Werbespot und das „Mysterium Internet of Things“ wird im Verlaufe dieser Nacht ein Cookie auf seinem Endgerät platziert. Plötzlich wird bei sämtlichen Aktivitäten im Second Screen ein Bezug zum Spot-Inhalt hergestellt – teils subtil, teils mit der Brechstange. So oder so, er fühlt sich irgendwann angesprochen.
Mag es auch purer Zufall sein, dass er derzeit über eine Kreditaufnahme nachdenkt und die beworbene Bank hierzu mit einer unkomplizierten, digitalen Prozedur punkten kann. Eine kurze Internetrecherche lässt zugleich keine Trugschlüsse zu – die international agierende Bank ist clean. Er nutzt deshalb per App das sogenannte Photobanking-Fomat der besagten Bank. In wenigen Schritten erhält er seinen Kredit: Er fotografiert seinen Personalausweis und lädt das Foto in die kostenlose App. Eine automatische Schrifterkennung extrahiert alle Daten, füllt das entsprechende Formular automatisch aus und bestätigt via Messenger den Transfer. „Beehren sie uns bald wieder.“
So sind mir einige Handlungsempfehlungen zugeflogen, die exemplarisch für eine zeitgemäße Gestaltung der aktuellen Nachrichtenlage stehen sollen. Unabhängig vom Wetterbericht sowie von den eingesetzten Budgets und Ressourcen können (und sollten) Unternehmen einige Dinge von vornherein direkt in ihren Koffer legen.
Customer Journey analysieren und Touchpoints bewerten – 7 Tipps
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Philosophie
Sind wir uns sicher, dass wir das große Rennen um die Kundenwelt annehmen möchten? Dann muss dafür gesorgt werden, dass sämtliche Rollenprofile, Verantwortlichkeiten, Aufgaben und Kompetenzen entlang der Customer Journey intern dokumentiert, kommuniziert und eingehalten werden. Wir müssen die Frage nach der Relevanz des Customer Managements in unserem Domizil beantworten.
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Kundengruppe
Die aus Unternehmenssicht wichtigste Kundengruppe gilt es abzugrenzen, um sich in den nächsten Schritten ausschließlich auf diese zu fokussieren. Ich setze voraus, dass die allgemeinen Zielgruppen bereits definiert sind. Es empfiehlt sich dennoch, einzelne Personas herauszugreifen und zum Beispiel deren Kaufverhalten oder Online-Affinität zu beleuchten.
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Berührungspunkte
Um sich das Ausmaß aller Berührungspunkte einmal auszumalen, könnten etwa die Touchpoints für die zuvor ausgewählte Kundengruppe ganz pragmatisch aufgeschrieben werden – und zwar alle, die vor, während und nach der Zielhandlung disziplinübergreifend eine Rolle spielen und sich auch später noch auf die Kundenzufriedenheit auswirken. Für die Customer Journey Map ergeben sich hieraus die sogenannten „Moments-of-Truth“ – die Berührungspunkte mit der größten Bedeutung.
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Bewertung
Eine subjektive Bewertung der Touchpoints fällt in aller Regel besonders schwer. Die erstellte Übersicht der Akteure samt ihrer Aufgaben hilft, gezielt Bottlenecks oder Verzögerungen im Prozessablauf ausfindig zu machen und einer bestimmten Person zuzuordnen. Dieser Ansprechpartner bewertet ohne Schönfärberei jeden einzelnen „seiner“ Berührungspunkte im Rahmen der Customer Journey aus Sicht des Kunden auf einer Skala von eins bis zehn (1 = Erwartungen verfehlt … 10 = Erwartungen übertroffen).
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Visualisierung
Es gibt im Internet diverse Tools, die die Reise des Kunden grafisch darstellen können. Mein Vorschlag wäre, mal einige kostenlose Tools auszuprobieren und im Rahmen eines Workshops vorzustellen. Schöner Nebeneffekt: Die Beteiligten werden frühzeitig abgeholt und können ihre Sicht der Dinge schildern. Wobei „ihre Sicht“ immer nur als Repräsentanz der Kundenperspektive zu verstehen ist.
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Insights
Mithilfe der Customer Journey Map, den Analysen und Übersichten lassen sich leicht konkrete Verbesserungsvorschläge erarbeiten. Diese Verbesserungen können sich einerseits auf die interne Kommunikation (z. B. Abbau von Bürokratiehürden oder Befugniserweiterungen) beziehen und andererseits externe Optimierungen wie die Anpassung der Website oder Schulungen des Kundenservices beinhalten.
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Weitblick
Unternehmen und Marken, die einen klaren Fokus auf die Customer Journey legen, sind flexibler beim Umgang mit dem Wandel und somit langfristig erfolgreicher. Sie sprechen aber auch nicht nur über die Kundenreise, sondern investieren in diese. Beschäftigen sich mit neuen Formaten, Plattformen und Trends. Dazu gehört eine große Portion Mut und jede Menge Vorstellungskraft – geht es doch darum herauszufinden, was der Kunde zukünftig sehr wahrscheinlich wollen könnte. Um die Weichen für die Zukunft zu stellen, ist in diesem Kontext beispielsweise der Einsatz von Bots zu erörtern.
Diese Auflistung gleicht zugegebenermaßen mehr einem Faltplan-Relikt als einem professionellem Customer Journey Mapping. Jedoch zeigt sie ohne Anspruch auf Vollständigkeit viele kleine Stellschrauben auf, um sich den Kunden radikal verschreiben zu können.
Die 3 Fragezeichen und die unbeherrschbare Customer Journey
Inzwischen hat die Mehrzahl der Unternehmen verstanden, wie wichtig die digitale Transformation ist und welche Chancen sie bietet. Trotz dieser Erkenntnis sind längst noch nicht alle bisherigen Denkmuster tatsächlich durchbrochen worden. Eher ist allerorts das oben genannte Kinderspiel „Ich packe meinen Koffer“ dahingehend interpretiert, schnell das Weite zu suchen – anstatt sich abenteuerlustig auf die Spuren der Kunden zu begeben. So sind Unternehmen und Marken oft Getriebene und eben keine Treiber. Sie scheuen die Veränderung und die zunehmende Komplexität der Customer Journey.
Das Thema Customer Journey beschäftigt uns also weiterhin und ist zu diskutieren, sollte jedoch für die Marketer höchste Priorität haben. Ein tiefgehendes Verständnis der gesamten Customer Journey und eigene Erfahrungen sind aus meiner Sicht die Basis einer zu 100 Prozent kundenorientierten Marketingausrichtung. Die Entwicklung eines solchen Angebots erfordert allerdings kein kampagnenbasiertes Vorgehen, sondern eine übergeordnete Strategie. Integriertes, agiles Content-Management bestimmt letztendlich den Erfolg und die Performance zur Ergreifung der Customer Journey.
Unsere drei Helden – als sinnbildliche Verkörperung des „Herausforderungsdreiklangs“ – aus den Anfängen dieses Artikels haben ganz unterschiedliche Erfahrungen mit der Customer Journey gemacht: Justus (richtiger Content) hat wie eigentlich fast immer einen tollen Job abgeliefert. Unternehmen, Marken und Agenturen sind sozusagen bestens aufgestellt und warten größtenteils mit nutzenstiftenden Inhalten auf. Hingegen tappen die beiden Kollegen Peter (richtige Zeit) und Bob (richtiger Ort) noch weitestgehend im Dunkeln. Handlungs- und Kaufmotive, Kundenreisen und Nutzerverhalten sind schlichtweg so vielfältig wie die Menschen an sich. Lösen wir uns deshalb also besser von dem Gedanken, es allen recht machen zu können.
Zukünftig ist vermehrt zu überlegen, wann wir wo etwas veröffentlichen – und dies bitte stets aus Kundensicht!
Artikelbild: Martin Mummel/GRVTY
Inspiriert von der Headline des Beitrags „Eine Redaktion gibt’s nicht bei Ikea“ von Doris Eichmeier, ist mir noch ein schönes Beispiel zur Customer Journey und Virtual Reality eingefallen: https://youtu.be/ztFQR_oOvgI
Hallo Stefan,
persönlich interessiert mich das Thema „Customer Journey“ ebenfalls. Deswegen las ich Deinen Artikel. Passend zu diesem Thema ist die Ergänzung Persona aus diesem Artikel: http://www.webpixelkonsum.de/2015/07/13/persona-wichtig-oder-unwichtig-fur-online-strategie/.
Das Thema „Customer Journey“ bleibt für mich auch in Zukunft spannend und Deine Anregungen helfen für den „kalten Blick“, damit die „Customer Journey“ sowohl für den Kunden als auch für das Unternehmen bzw. die Marke erfolgreich verläuft.
Beste Grüße
Ralph
Hallo Ralph,
danke für deine Ergänzung – ich glaube auch, dass die (Kunden)Reise noch nicht zu Ende ist!
Viele Grüße
Stefan
Toller Beitrag über Customer Journey Analyses mit sehr nützlichen Informationen – Vielen Dank!