Anleitung zum Leserquälen: So fesselst du deine Leser richtig

Anleitung zum Leserquälen – 4 fiese Methoden, um deinen Lesern süße Qualen zu bereiten

Ein Steuerbescheid könnte nicht ernster gemeint sein als dieser Titel. Du erfährst, wie du grausam Leser quälst. Kein zwinker-zwinker, hier spricht die Ironie: „Ich zeig dir jetzt mal, wie man besser nicht schreibt.“

Aber warum zur Hölle sollten Content-Macher und Texter ihre Leser piesacken? Na, weil die es wollen. Texte, die auf die richtige Art quälen, werden im Gegensatz zu anderen gelesen – ich möchte nicht behaupten Wort für Wort, aber bis zum Ende.

Und zwar deshalb.

Da draußen locken Videos: 7 wahnsinnige Sachen, die nur Chinesen machen. Und Clickbait-Lines: So wirst du nie im Leben Influencer. Über allem dröhnt das Humpa-Humpa aus dem Marketing-Zirkus: Raus aus dem Hamsterrad, rein ins Herzensbusiness. Die streng gehütete 7k-Strategie. Websites, die Kunden magisch anziehen (man fühlt sich wie in Hogwarts).

Wie kann da ein fundierter, vielleicht sogar längerer Text die Aufmerksamkeit halten? Indem wir unser Publikum mit einfachen Formulierungen einlullen? Uns extrem kurzfassen, weil alle Wichtigeres zu tun haben als unser Geschreibsel zu lesen? Die Quintessenz gleich in die Headline und den ersten Absatz stopfen, weil der Text ja eh keinen interessiert? Und den Rest mit Larifari füllen, damit Google was zu crawlen hat?

Halt, Stopp. Schluss mit dem vorauseilenden Gehorsam. Wen soll dein Text mitreißen, wenn du als Autor höchstpersönlich nicht daran glaubst, dass er lesenswert ist?

Wer es Nicht-Lesern auf Teufel komm raus Recht machen will, killt von vornherein die Faszination. Dein Text bleibt ein Skelett, das auf juwelensuchende Leichenfledderer wartet. Fleischlos. Durchsichtig. Nach Bedürftigkeit stinkend: „Sorry, ich will gar nicht lange stören. Kannst du das bitte mal überfliegen? Dauert nur eine Minute, versprochen.“ Bäh, wie erbärmlich.

Schreibt nicht für Lesemuffel, sondern für alle, die ihr mit Worten packen könnt

Liebe Texter und Autoren, Brust raus, Kopf hoch! Traut euren Texten was zu. Schreibt nicht für Lesemuffel – die gab es schon immer, das hat nichts mit der Digitalisierung und dem Info-Müllberg zu tun. Schreibt für alle, die ihr mit Worten packen könnt. Baut Argumente auf, lasst dem Drama seinen Lauf, spannt auf die Folter. Euer Job ist es, Leser auf glühenden Kohlen zu fesseln – nicht Leuten, die zu faul zum Lesen sind, Trauben der Weisheit in den Mund zu werfen.

Ich höre schon die Einwände: Ja, aber wir schreiben ja Fachtexte, nicht Friedhof der Kuscheltiere. Unsere Leser wollen sich schnell informieren, nicht aufreiben. Nein, was sie wollen ist ein Grund zum Weiterlesen. Infos allein sind nichts mehr Wert. Wie du die Infos vermittelst, darauf kommt es an.

Indianerfriedhof – Hund begraben – Zombie – Sohn begraben – Zombie.

Friedhof der Kuscheltiere in 7 Worten.

Das geht spannender. Lernt Leser zu quälen und macht eure Texte attraktiv. Damit sie nicht nur husch-husch nach Infos abgegrast, sondern genussvoll konsumiert werden. Damit sie die Aufmerksamkeit bekommen, die sie brauchen, um ihre Wirkung zu entfalten.

Jetzt brauchst du nur noch geeignete Methoden, um deinen Lesern süße Qualen zu bereiten. Die Kunst liegt darin, sie subtil zu gebrauchen. Klar, zu viel des Fiesen nervt – aber das ist ja mit allem so. Offen gesagt: Wenn ich mich auf Corporate Blogs und Websites umschaue, sehe ich eher die Gefahr, dass sie höchstens müdes Achselzucken triggern.

Ich zeig dir jetzt die Folterwerkzeuge. Und du wirst sie benutzen.

Mach ein Drama draus

Leute, wo bleibt das Drama? Nichts fesselt schneller als ein Konflikt. Es muss nicht Merkel gegen Seehofer oder Drache gegen Eiszombie sein.

Ich habe neulich eine geniale Definition gelesen: Drama ist die Spannung zwischen Erwartung und Unsicherheit. Dafür musst du keinen Darth Vader aus dem Hut ziehen. Der Bösewicht ist optional.

Der Konflikt steckt im Thema. Schreib über Personen, die er betrifft. Frag dich:

  • Wo ist das Problem?
  • Was spricht dagegen?
  • Wem schadet das?

Kick deine allgemeine Einleitung à la „Zufriedene Mitarbeiter sind das A und O“ oder „Die Digitalisierung ist in vielen Unternehmen noch nicht angekommen, blablabla“ in den Gully.

Zieh den Leser lieber gleich zwischen die Fronten.

„Tanja verdient 4900 € brutto und würde montags am liebsten gar nicht aufstehen.“

„64 Prozent* der deutschen Unternehmen drucken E-Mails aus – im Mittelstand sind es 82 Prozent*. Wie können sie sich ins digitale Zeitalter retten?“

*Frei erfundene Statistik.

So gelingt der dramatische Einstieg:

  • Bau den Konflikt gleich im ersten Satz auf.
  • Beschreibe ihn so konkret wie möglich: Zahlen, Beispiele, Bilder im Kopf.
  • Schüre die Erwartungen des Lesers, aber verrate nicht gleich, wie sich das Problem lösen lässt.

Lass sie zittern

Kennst du den Tipp? Liefere die wichtigste Information gleich zu Beginn, damit der Leser nicht lange suchen muss. Also entschuldige mal: Informieren kann man sich überall. Denk lieber daran, wie du deine Leser an deinen Text ketten kannst. Warum sollte jemand weiterlesen, wenn er gleich am Anfang alles kriegt, was er will?

Wenn meine Kinder aufräumen, gebe ich ihnen auch keine Gummibärchen, wenn sie das erste Playmo-Männchen in die Kiste werfen.

Reizvoller wird dein Text, wenn du zur Information hinführst. Versteh mich nicht falsch: Zieh ihn nicht in die Länge wie einen Hubba-Bubba. Aber spann den Bogen, bevor du deine Weisheit auf die Menschheit loslässt. Dann kommt sie mit Wumms an.

So funktioniert’s.

Erkläre erst den Wert, den eine bestimmte Information für dich hatte.

„Eine Einsicht hat mir mehr geholfen als alle Bücher, die ich zum Thema gelesen habe.“

Oder wirf einen Blick in die unheilschwangere Zukunft:

„Hätten wir in der Kanzlei damals gewusst, welches üble Nachspiel dieser kleine Fehler hatte …“

Am besten bringst du deinen Lesern bei, dass sich das Dabeibleiben lohnt. Belohne sie ab und an mit einer besonders leckeren Info zum Schluss.

Zwing sie zum Denken

Die Leute sind ja faul und vergessen das meiste gleich wieder. Deshalb sollen wir es ihnen so einfach wie möglich machen, unseren Text zu konsumieren. Also alles ganz klar sagen und um Gottes willen keinen Raum für Interpretation lassen.

Was diese Stimmen vergessen: Vorgekautes Wissen ist laaaaaangweilig. Auf Englisch bekommen Leute, die Offensichtliches sagen, den wenig schmeichelhaften Titel „Captain Obvious“. Richtig so.

Deine Leser sind nicht doof und schätzen es, wenn sie ihre eigenen Schlüsse ziehen dürfen. Deshalb sind auch Krimis besser, bei denen der Leser alle Teile des Puzzles hat und nicht warten muss, bis der superschlaue Detektiv auf der letzten Seite die bisher verschwiegenen Hundehaare auf dem Kissen erwähnt.

Auch bei Fachartikeln gilt: 2+2 ist spannender als 4.

So geht’s:

Nimm die Botschaft nicht vorweg: „Content Distribution ist ein unterschätzter Erfolgsfaktor für Fachblogs.“

Beantworte lieber die Frage: „Wie kommen Leser auf dein Blog und woher wissen sie, wenn du einen neuen Artikel publiziert hast?“

Wetten, deine Leser kommen selbst drauf, wenn sie ein paar Fakten dazu auf dem Schirm haben? Zur Sicherheit kannst du den Clou am Ende in einer Punchline zusammenfassen – aber erst, wenn der Leser selber drauf gekommen ist.

Zwick sie ins Zwerchfell

Schon wenn wir lächeln, geht die Chemie im Kopf ab. Wir produzieren Serotonin, Endorphine und Dopamin. Die machen uns ausgeglichen, superhappy und motiviert. Hey, warum gönnen wir das unseren Lesern nicht?

Es müssen keine Bierzelt-Schenkelklopfer sein, wir schreiben ja Fachtexte oder Marketingsachen. Aber ein bisschen dürfen wir die Lachmuskeln schon traktieren. Der Witz ist: Selbst Themen trocken wie Heidesand kannst du mit einer Kelle Humor schmackhaft machen.

Ich beweise das mal mit einer Datenschutzerklärung. Die Variante von Andreas Ditze wurde begeistert gelesen, wie 600 Retweets, 1.200 Likes und 700 Kommentare nahelegen. Hier ein Auszug:

Sie wissen was ein Cookie ist? Nein? Ok, das können Sie hier nachlesen. Manche Menschen haben Angst vor Cookies, weil sie glauben, dass man damit herausbekommen kann, ob sie (diese Menschen mit der Angst) gestern Abend auf einer Porno-Seite waren oder sich insgeheim für satanistische Nazischergenmusik interessieren. Deswegen möchte kaum jemand, dass eine Website Cookies speichert. De facto ist es aber so, dass Websites ohne Cookies heute kaum noch funktionieren.

Hast du Sorge, dass dein Humor nicht rüberkommt? Überspitzen ist eine gute Idee, wenn du keine Mimik und Gestik zur Verfügung hast. Und falls du immer noch unsicher bist, lass dir von einem Emoji helfen.

Zum Schluss: Welche Qualen du deinen Lesern unbedingt ersparen solltest

Ist Leserquälen aus Prinzip eine feine Sache? Natürlich solltest du deine Leser nur traktieren, solange es ihnen einen Heidenspaß macht. Schnall sie in die Achterbahn und lass sie atemlos mit weißen Knöcheln durch deine Sätze sausen.

Du heißt wahrscheinlich weder Stephen King noch Dan Brown. Aber es kann keinem Texter schaden, ein bisschen wie ein Thrillerautor zu denken. Wir machen uns Gedanken, wie wir die Aufmerksamkeit einen läppischen Blogartikel lang halten können. Und die wissen, wie man über 600 Buchseiten hinweg fesselt.

Abschreckend wird’s erst, wenn du dein Publikum langweilst.

Quäle nie mit Business-Sprech, generischen Texteinstiegen, langwierigen Erklärungen, millionenfach gelesenen Floskeln, übertriebenem Eigenlob, Bandwurmsätzen und unnötig komplizierten Formulierungen.

Denn das verzeihen sie dir nie.

Artikelbild: Martin Mummel/GRVTY

Anleitung zum Leserquälen – 4 fiese Methoden, um deinen Lesern süße Qualen zu bereiten
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Daniela Rorig

Daniela Rorig

Daniela Rorig kämpft für Textkompetenz im Marketing, gegen Blablub und schimmlige Regeln. In ihren Online-Texterkursen lernen Marketer, Texter und Content-Macher, überzeugend zu schreiben und Leser zu begeistern. Mit Praxiswissen aus 18 Jahren als Werbetexterin für Marken von Aston Martin bis Stadtwerke Göttingen. Nebenbei bringt sie Kindern Karate bei und gibt rebellische Schreibtipps auf ihrem Blog textmatters.

8 Reaktionen zu “Anleitung zum Leserquälen – 4 fiese Methoden, um deinen Lesern süße Qualen zu bereiten”

  1. Petra
    Petra

    Liebe Daniela,

    mit deinem Artikel heute, der mir einen kleinen A…* in den Hintern versetzt hat, beginne ich nun gleich mit einem Blogbeitrag für meine Website, bei dem ich wenigsten zwei deiner heißen Tipps befolge. Muss mich ja noch steigern können ;-)

    Wie immer von dir sehr kurzweilig getextet, mit vielen Beispielen und kuriosen Bildern, die mir immer wieder ein Lächeln auf die Lippen zaubern.

    Danke dafür!

    Antworten
  2. Melanie

    Liebe Daniela,
    vielen Dank für diesen Artikel – er wirkt gerade wie ein doppelter Espresso! Ich liebe deinen Stil und kann davon gar nicht genug bekommen :)

    Herzliche Grüße aus Wien,
    Melanie

    Antworten
  3. Daniela Rorig | Textmatters
    Daniela Rorig | Textmatters

    Liebe Petra,

    genial, dass du was für dich rausziehen konntest. Ich drück dir alle 10 Schreibfinger für deinen Blogbeitrag. Den würde ich höllisch gern lesen.

    Es grüßt und winkt
    Daniela

    Antworten
  4. Daniela Rorig | Textmatters
    Daniela Rorig | Textmatters

    Hi Melanie,

    o, wie lieb. So was lese ich gern. Darauf mache ich mir gleich einen fetten Latte Macchiato.

    Ich grüß aus Göttingen zurück,
    Daniela

    Antworten
  5. Anne Retter

    Liebe Daniela,

    eine geschätzte Texter-Kollegin hat mir deinen Artikel geschickt und ich wusste nach den ersten Zeilen: Dieser Artikel ist von dir! Ich find deine Texte immer wieder großartig. Danke!

    PS: Was macht dein Buch? :D

    Antworten
  6. Daniela Rorig | Textmatters
    Daniela Rorig | Textmatters

    Liebe Anne,

    über Kollega-Lob freue ich mich am meisten. Danke euch! Das Buch quält mich gerade, daher der Artikel;) Ich arbeite fieberhaft auf einen Teilabgabetermin hin. Ich schließ mich dann mal wieder ein. :)

    Antworten
  7. Henning Uhle

    Großartiger Artikel. Der macht richtig Laune, mal die Leser zu piesacken. Ich glaube, ich verfalle immer mal wieder in einen Trott, dass ich zu wenig mitreiße. Mit diesem Artikel wird einem klar, dass man immer besser sein kann, wenn man sich mehr am Riemen reißt. Und die Sache mit dem Humor muss ich mir merken.

    Antworten
  8. Daniela Rorig | Textmatters
    Daniela Rorig | Textmatters

    Lieber Henning,
    vielen Dank für dein positives Urteil. Da macht MIR das Lesen richtig Spaß, sogar ohne Folterwerkzeuge. Wenn dich das Thema humorvoll Schreiben interessiert, lies gern mal meinen ausführlicheren Artikel dazu: https://www.textmatters.org/blog-1/witzig-schreiben

    Es grüßt und winkt
    Daniela

    Antworten

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