Warum die Welt mehr geistvolle Beiträge braucht (und wie du sie schreibst)
Bist du bloß eine Mensch-Maschine oder bist du wirklich geistreich? Oder besser: geistvoll. Entschuldige bitte, aber diese Frage müssen wir uns langsam mal stellen, wenn wir in Zukunft weiterhin erfolgreich Worte produzieren wollen. Wer es mit Robotern ernsthaft aufzunehmen versucht, muss sich einen modernen Don Quijote schimpfen lassen: „[Denn sie] sind billiger, produktiver, machen keine Flüchtigkeitsfehler und streiken nicht.“ In Zeiten, in denen der Roboter-Journalismus wohl unaufhaltsam auf dem Vormarsch ist, in dem die Lügenpresse-Rufe lautstark klingen, brauchen wir vielleicht mehr denn je kluge Köpfe, denen noch etwas einfällt. In diesem Text möchte ich mit dir fünf Tipps diskutieren, wie du deinen „Hirnschmalz“ an den richtigen Stellen einbringst und den Diskurs zu wichtigen Themen um die eine oder andere Facette erweiterst.
Roboter schreiben keine originären Texte – und du so?
Roboter sind nicht geistvoll. Zumindest jetzt nicht. Sie sind nach meinem Kenntnisstand nicht dazu in der Lage, Erfahrungen zu machen, mit denen sie bestimmte phänomenale Qualitäten verknüpfen. Es fehlt ihnen das Bewusstsein dafür. Wir aber sind dazu in der Lage, wenn wir eine kindliche Neugier verspüren, indem wir streben, so lange wir leben. Neuronale Netze mögen uns in vielerlei Hinsicht zwar bereits jetzt überlegen sein. Doch wir sollten uns davor hüten, den Kopf zu früh in den Sand zu stecken und die Qualitäten des Menschseins wieder neu entdecken. Ich für meinen Teil finde es immerhin deutlich befremdlich, wenn Big Data mehr Einfluss auf unser Handeln hat als unsere Intuitionen, zumal unsere natürlichen Datensätze alles andere als schlecht sind. Zudem sind nicht gerade wenige Algorithmen nur deshalb so erfolgreich, weil sie auf unsere Gedanken auf Facebook oder Twitter zurückgreifen. Auch die Roboter-„Journalisten“ schreiben derzeit kaum richtige Texte, sie setzen vielmehr von Menschen geschriebene Formulierungen zusammen und ersetzen Textfragmente. Oder mit anderen Worten: Wir sollten uns wieder auf unsere natürlichen Stärken besinnen, indem wir um-, anders- oder wieder mehr nachdenken.
Das Handwerkszeug sollten wir natürlich beherrschen
Um geistvolle Artikel zu schreiben, ist es hilfreich, zu wissen, was solche Texte kennzeichnet. Denn nicht jeder ist ein geborener Schiller, Goethe oder Kafka. Sicher ist, dass es weniger um professionelles Deutsch geht, wie es der Stilkritiker Wolf Schneider empfiehlt. Selbstverständlich sollten wir unser Handwerkszeug beherrschen. Aber der geistvolle Autor ist stets darum bemüht, einen Text zu erschaffen, der seinem Leser etwas Neues bietet. Ich für meinen Teil lese jedenfalls zu viele von Menschenhand geschriebene Texte, die mich „so klug als wie zuvor“ zurücklassen.
Alles eine Frage der Perspektive
Menschen können denken. Wir sind zu Erfahrungen in der Lage, wir erkennen die Qualitäten einer bestimmten Sache, einer Situation oder eines Menschen. Anders als Roboter können wir sogenannte „kognitive“ Leistungen vollbringen. Damit sind wir beim Terminus technicus, der tatsächlich etwas technischer klingt als sein umgangssprachliches Synonym: Geistvoll ist der, welcher eine kognitive Leistung erbringt. Um weniger Gefahr zu laufen, deinen Geist auf falsche Weise zu beeinflussen, mag ich nicht von einer Bewusstseinserweiterung sprechen, sondern stattdessen von einem (anders erzeugten) Wechsel der Perspektive, ohne den es meiner Ansicht nach keine geistvollen Artikel geben kann. Der Perspektivenwechsel ist für mich das Wesen der Kognition, während ihr Motor wohl in der Motivation liegen dürfte.
Die ersten fünf Tipps für geistvolle Artikel
Eine echte Chance für einen geistvollen Artikel ergibt sich zum Beispiel, wenn Google mal nicht das richtige Ergebnis liefert. Wenn du mit den Suchergebnissen irgendwie unzufrieden bist, könnte das der Moment sein, in dem du offenbar etwas ganz anderes im Kopf hast. Vielleicht hast du gerade eine gute Idee! Geistvolle Artikel entstehen im Grunde genau dann, wenn du der Meinung bist, dass ein Thema auf andere Weise behandelt werden sollte. Wir sollten weitaus weniger damit befasst sein, Google-Recherchen dazu zu verwenden, bereits bekannte Informationen in „neue“ Artikel zu kuratieren und damit bekanntes Wissen immer wieder zu wiederholen.
Folgende Möglichkeiten stehen dir (mindestens) zur Verfügung, um es anders, geistvoller zu machen:
1. Details herausarbeiten: Sei detailverliebt und arbeite heraus, was andere weglassen.
Wir leben in einer Zeit, in der zu oft einfache Antworten auf komplexe Fragen gegeben werden. Viele Publikationen dienen weniger dem Ziel, den Leser fundiert zu informieren, als vielmehr dem Zweck, ein bestimmtes Gefühl zu hinterlassen. Doch nur, weil „Snackable Content“ derzeit voll im Trend liegt, heißt das nicht, dass wir komplexe Themen nicht mit der gebührenden Sorgfalt und Intensität behandeln sollten. Ich lese zu viele Texte, die ein Thema nur oberflächlich behandeln und freue mich über jeden Autor, der sich hinsetzt, um es einmal näher zu beleuchten.
2. Perspektiven hinzufügen: Betrachte das Thema von einer anderen Seite.
Viele Menschen pochen auf nur eine Wahrheit, und zwar auf die eigene. Wahrheit aber ist nicht in unseren Köpfen, wir beziehen uns lediglich auf sie. Unsere Perspektive auf die Dinge ist immer nur subjektiv, bestenfalls intersubjektiv, etwa, wenn Perspektiven von einer Gruppe geteilt werden, wenn ein gewisser Konsens vorherrscht. Absoluten Anspruch auf Objektivität kann es kaum geben, saubere, wissenschaftliche Methoden aber helfen dabei. Um sich der Wahrheit so weit wie möglich annähern zu können, ergibt es Sinn, ein Thema von möglichst vielen Seiten zu betrachten. Und das findet so selten statt, dass es sich lohnen könnte, die Dinge einmal zu drehen und so von einer anderen Warte aus zu betrachten.
3. Auf den Punkt bringen: Erweitere deinen Blickwinkel und konzentriere dich auf das Wesentliche.
Gute Werbetexter wissen, wie schwierig es ist, einen komplexen Sachverhalt, wie etwa die Botschaft eines Unternehmens, in nur wenigen Worten auszudrücken. Wer dazu in der Lage ist, eine tolle Überschrift, eine Headline oder einen erfolgreichen Tweet zu schreiben, verfügt über ein besonderes Talent – sofern er sich nicht zu sehr bei gängigen Überschriften-Formeln bedient und damit bloß von der geistigen Vorarbeit anderer profitiert.
4. Konsens negieren: Decke auf, wenn etwas falsch läuft.
Dass sich die Sonne um die Erde dreht und nicht etwa umgekehrt, war bis ins Spätmittelalter noch die vorherrschende Meinung. Was Konsens ist, muss also beileibe nicht immer richtig sein. Vieles, was aktuell weitgehend den Ton angibt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als nicht haltbar (z. B. Trennung von Rationalität und Emotionalität, Populismus von und über Populisten, Verschwörungstheorien, unseriöse Fakten-Checks). Vielleicht ist es nicht einmal schwieriger geworden, sich der Wahrheit anzunähern. Es herrscht aber zumindest ein breiter Konsens darüber, dass Falschmeldungen den Journalismus, die freie Welt und somit uns alle bedrohen. Es könnte vielleicht eine gute Zeit zu sein, sich seriös (!) und doch lautstark mit der Wahrheit zu befassen, was ausdrücklich beinhaltet, die Wahrheit nicht für sich gepachtet haben zu wollen.
5. Kritisiere dich: Übe dich in Selbstreflexion.
Ich bin dem Journalisten und Verleger Jakob Augstein sehr dankbar für seinen Vortrag vom 17. Januar 2017 an der Universität Hamburg zur Selbstkritik der Journalisten. Jeder von uns, der Texte „raushaut“, sollte sich kritisch mit den recherchierten Meinungen auseinandersetzen, und nicht zuletzt mit der eigenen Meinung, die unweigerlich und deutlich mit in den Text einfließt. Wer nicht selbstkritisch ist, hat keine sonderlich guten Chancen, wirklich geistvolle Texte zu kreieren.
Einige Schlussbemerkungen – und wie Nick Cave es sieht
Wir führen nunmehr unzählige Diskurse über Lügenpresse, über Content-Marketing als Journalismus aus der Hölle, über die Gefahren durch Roboterjournalismus oder Bots. Derzeit ruft es aus vielen Kehlen nach mehr Wahrheit. Vermutlich aber brauchen wir nicht mehr Wahrheit, sondern vielmehr mehr, vor allem bessere Perspektiven. Wenn wir also öfter geistvolle Artikel schrieben, könnten wir uns der Wahrheit zumindest eine kleines Stück nähern, ohne explizit über Wahrheit sprechen zu müssen. Der australische Musiker & Poet Nick Cave hat einst in etwa gesagt, dass die besten Liebeslieder jene sind, in denen das Wort „Liebe“ nicht einmal auftaucht. Womöglich verhält es sich mit Texten über die Wahrheit ähnlich, dass in den besonders guten der Wahrheitsbegriff nicht verwendet wird. Mit den genannten Tipps kommst du sicherlich ohne diesen Begriff aus, weil geistvolle Texte ihn nicht nötig haben.
Artikelbild: Martin Mummel/GRVTY
Lieber René, vielen Dank für diesen wirklich sehr schönen Beitrag, sehr inspirierend. Auf meinem Blog habe ich dazu schon öfter ein Kompliment bekommen, doch mir war das bisher gar nicht so bewusst, ich habe gar nicht über die „Geistheit“ meiner Artikel nachgedacht, sondern lediglich meine Meinung geäußert. Werde mich hier gleich mal durch die weiteren Themen lesen. LG
Hi Louise,
schön, dass dich der Beitrag inspiriert. Es geht genau darum, sich eine eigene Meinung zu bilden und sie regelmäßig zu überprüfen. Das kann übrigens auch im Nachhinein erfolgen, etwa in Form eines Content-Audits oder während der Content-Distribution. Es bestehen immer wieder Möglichkeiten, sich anders oder neu mit einem Thema auseinanderzusetzen. Ich wünsche dir mit deinem geistvollen Blog weiterhin viel Erfolg. ;-)
Das finde ich auch Lieber René, ich bin kein Fan von automatisierten Text Nachrichten oder Kommentare in Social Media, auch wenn indem Text mal kleine Flüchtigkeitsfehler drin sind, wie z. B. ein Kommen oder das Wort irgendwie Falsch geschrieben ist. Da ist am kein schlechter Mensch nur, weil man es anders formuliert oder anders schreiben tut. Ich danke dir für diesen Blogbeitrag.
Dein Fotoexperte für deine Persönlichkeit.