Eine Redaktion gibt’s nicht bei Ikea
Wie wird eine Redaktion aufgebaut? Wie wird sie gemanagt? Es gibt keine simple Antwort, weil Redaktionen komplexe Gebilde sind. Keine gleicht der anderen. Es gibt aber eine Grundausstattung: Geduld, psychologisches Talent und jede Menge fachliches Know-how. Wir geben ein paar Tipps, damit der Start leichter fällt.
Diagramme können so schön sein: Sie zeigen makellose, fließende Abläufe, keine Probleme weit und breit. Auch jene, die das Publizieren im Content-Marketing darstellen, hinterlassen gerne den Eindruck: Ist doch alles supereinfach! Vorne fließt das Thema in die Redaktion rein, es folgen ein paar Arbeitsschritte – und voilá, fertig ist das epochale Werk. Aber: Diagramme sind Lügner.
Zugestanden, der Workflow im Publizieren kann tatsächlich einfach sein. Aber nur, wenn wir es mit einem erfahrenen Team zu tun haben, in dem jeder Handgriff sitzt. Wenn aber eine Redaktion erst aufgebaut wird oder sich anschickt, die ersten Schritte zu gehen, ist die Lage eine völlig andere. Wenn die Vorbereitungen nicht gut genug sind, die Mitarbeiter nicht die richtigen, erleben wir das Gegenteil von makellos und fließend. Dann gleicht die Redaktionsarbeit eher einem Hindernislauf, den Menschen mit zu wenig Orientierung und zu schwacher Kondition meistern müssen. Vom enttäuschenden Ergebnis ganz zu schweigen.
Voraussetzung für den Erfolg: Redaktionelle Strukturen
Es mag also ein weiser Entschluss sein, wenn Unternehmen die redaktionelle Arbeit lieber auslagern, etwa bei den Profis von C3 oder Territory. Aber: Selbst dann braucht es redaktionelle Strukturen im Haus, damit die Zusammenarbeit klappt. Immerhin muss das Unternehmen ja beurteilen können, ob die Externen für ihr Budget einen guten Job machen und die gelieferte Qualität stimmt.
Ein Unternehmen, das es ernst meint mit Qualitätscontent, braucht also redaktionelles Know-how, egal wie das Konstrukt letztendlich aussieht oder heißen mag, etwa
- in einer hauseigenen Redaktion, die zum Beispiel für die Website, das Blog und Social-Media zuständig ist. Sie kann aus einem oder mehreren Mitarbeitern bestehen.
- in einem Newsroom, der viele Kommunikationsdisziplinen des Hauses vereint, also zum Beispiel auch PR, Redenschreiber und Corporate Publishing.
- als redaktionell geschulter Kontakt zu den externen Dienstleistern.
In diesem Artikel beschreibe ich vor allem das Wesen einer Redaktion, lasse Tools außen vor (was ein riesiges Extrathema wäre). Für das Thema Newsroom empfehle ich das Blog meiner Kollegin Marie-Christine Schindler sowie den PR-Blogger von d.Tales.
Was also muss ein Unternehmen beachten, wenn es mit gutem Content punkten will und dazu eine Redaktion betreiben möchte? Fakt ist: Es gibt keine Standardanleitung zum Aufbau einer Redaktion á la Ikea. Eine Redaktion sollte im Idealfall maßgeschneidert sein, zu den Besonderheiten der Unternehmensstrukturen, seiner Themen, seiner Mitarbeiter und zu den Abläufen in anderen Kommunikationsabteilungen passen.
Deshalb muss sie mit Sorgfalt aufgebaut werden. Und es ist keine gute Idee, das Online-Marketing einfach mit einem Journalisten auszustatten und diese Kombination dann „Redaktion“ oder „Content-Marketing“ zu nennen. Wenn der größte Teil der Mitarbeiter weder Gespür noch Erfahrung für die nötigen Arbeiten hat, kann das nicht gut gehen. Redaktionelles Arbeiten ist anspruchsvoll, nichts für Laien und ganz bestimmt nichts für nebenher.
Wie also vorgehen? Hier ein paar Tipps rund um die Redaktionsarbeit am Corporate Content.
1. Grundsätzliches klären: Die Ziele der Redaktion
Einer der häufigsten Gründe, warum eine Redaktion nicht richtig funktioniert: Sie hat kein klares Ziel und ein zu schwaches Standing in der Firma. Sie wird zum Beispiel gegründet, um der Website mit viel aktuellem Content Leben einzuhauchen. Aber schwupps, ehe sie sich versieht, schlagen bei ihr viele weitere Jobs auf, die zuvor nicht geplant waren – Posts auf Facebook und Slideshare, Artikel zu Whitepaper ausbauen, PDFs für Messen anfertigen, für einen Stammkunden des Hauses „auf die Schnelle“ einen Text schreiben und so vieles mehr.
Die Folge: Eine solche Redaktion macht alles und nichts richtig und ist trotzdem chronisch überlastet. Und wenn sie kaum Unterstützung aus anderen Kommunikationsabteilungen bekommt, weil sie womöglich „nur“ ein Teilbereich des Online-Marketings ist, verliert sie ihren Elan, ihre Arbeitsqualität sinkt. Weil sie kein Ziel hat, außer diesem: möglichst schnell alles wegarbeiten. Das aber kann nicht das Ziel einer Redaktion sein.
Um eine solche – für alle unbefriedigende – Situation zu vermeiden, muss eine Redaktion wissen, wozu sie existiert. Sie braucht ein klares Bild von sich und klare, realistisch erreichbare Ziele. Dazu könnten zum Beispiel gehören:
- Positionieren des Unternehmens als Quelle Nummer eins für ein Fachthema
- Einzelne Persönlichkeiten im Unternehmen besser zur Geltung bringen
- Verbessern des Images durch multimediales Storytelling
- Erhöhen der Zugriffsrate der Online-Angebote
- Optimieren aller Content-Arten des Unternehmens
- Relevanz auf weiteren Plattformen erhöhen (Medium etc.)
- Kosten für Unternehmenskommunikation senken (etwa durch Syndication)
- Vertriebsunterstützung durch Verkaufstexte mit starkem Call-to-Action
- Stammkunden binden
- Neukunden gewinnen
- Entlasten des Callcenters
Solche Ziele formen den Charakter einer Redaktion. Erst dann kann sie entscheiden, welche der Aufgaben wichtig sind, die an sie herangetragen werden – und welche nicht. Um die passenden zu finden, sollten Geschäftsführung und weitere Kommunikatoren des Hauses befragt werden, aber auch die Konsumenten: Was erwarten sie von den Inhalten des Unternehmens?
Sollte sich auf diese Weise herausstellen, dass die Erwartungen an die Redaktion enorm sind, aber zu wenige Mitarbeiter mit zu wenig Budget beschäftigt werden, muss das Unternehmen handeln: entweder die Ziele ändern, damit die aktuelle Mitarbeiterzahl ausreicht, oder ausbauen. Oder externe Unterstützung holen.
Ausgestattet mit diesem Wissen kann auch entschieden werden, wo die Redaktion untergebracht sein sollte – etwa in der PR, im Marketing, im Vertrieb oder im Kundenservice. Geht es um das Pflegen einer Website oder eines Blogs, ist das Einbetten im Marketing sinnvoll. Geht es um weitere Medienproduktionen wie Broschüren oder Gebrauchsanweisungen, kann der Kundenservice die richtige Wahl sein. Sollte vor allem das imagefördernde Storytelling über alle Medien hinweg im Mittelpunkt stehen, kann die PR die richtige Wahl sein. Klar muss aber sein: Auch wenn die Redaktion irgendwo ihre Heimat hat – der starke Austausch mit allen anderen Kommunizierenden ist eine der wesentlichen Bedinungen, damit sie erfolgreich arbeiten kann.
2. Der Aufgaben-Check: Es gibt viel zu tun
Das Arbeitspensum einer Redaktion darf niemals unterschätzt werden! Was viele vergessen: Es geht nicht nur um das reine Produzieren und Veröffentlichen medialer Produkte. Es geht auch um Planung, Abstimmung, Weiterentwicklung – und das kostet Zeit. Zum Beispiel gehören zu den Aufgaben einer Redaktion:
- Themenplanung: Meetings mit anderen Kommunizierenden, etwa der PR: Welche übergreifenden Themen sind für wann geplant? Mit welchen Unterthemen kann die Redaktion unterstützend agieren? Hier kann ein Meeting zum Jahresbeginn Sinn machen sowie ein regelmäßiges Treffen alle sechs bis acht Wochen, um die Termine gemeinsam zu planen. Basis wäre ein Themenplan für alle (der womöglich von der Redaktion gepflegt wird)
- Redaktionsplanung: Regelmäßige Zusammenkunft mit allen Kollegen der Redaktion. Die Frequenz kann täglich sein oder wöchentlich. Wichtig ist, dass alle Mitarbeiter erfahren, was aktuell in der Redaktion geschieht, welche neuen Themen bearbeitet werden sollten und wer welche Termine einzuhalten hat. Basis hierzu ist ein Redaktionsplan, in dem alle Arbeitsschritte festgehalten werden (dazu später mehr)
- Betreuen externer Mitarbeiter: Finden, ausbilden, Kontakt halten
- Qualitätskontrolle: Check der inhaltlichen Qualität (Markenbotschaften), Web-Erfolg
- Prozesspflege: Stete Optimierung und Anpassen der Toollandschaft
- Archivaufbau und -pflege: Zum Zugriff für alle Kommunizierenden, etwa ein Bilder-Pool
- Content-Recycling: Neuverwertung alter Content-Angebote
- Kooperationen: Initiieren, für mehr Effizienz und bessere Qualität
- Kontakte knüpfen: Erschließen guter Informationsquellen innerhalb und außerhalb des Hauses (Hierzu kann zum Beispiel der Besuch von Konferenzen und Messen Sinn machen.)
- Content Syndication und Content Curation zur Effizienzsteigerung
- Recherche, Konkurrenzbeobachtung: Medien durchforsten, Konkurrenzanalyse
- Entwickeln neuer Content-Arten, etwa Infografiken, „New Journalism“
- Relaunches: Initiieren, Planen, Durchführen
- Content-Vermarktung
Man sieht: Es gibt jede Menge an Aufgaben, die nicht zum typischen Produktionsprozess gehören – und trotzdem gehören sie dazu. Die klassische Produktion kommt natürlich noch oben drauf. Hier ein Beispiel für das Beauftragen eines externen Dienstleisters:
- Briefing für das Produkt (Artikel, Video, Infografik, Foto etc.) erstellen
- Kontakt Autor/Produzent: Beauftragen und regelmäßig nachhaken
- Unterstützung während der Produktion (etwa durch Recherchen)
- Terminüberwachung: Einfordern von Leistungen zum vereinbarten Termin
- Redigieren, Korrigieren
- Feedback geben: Autor/Produzent
- Koordination aller weiteren Produktionen zum Thema, etwa Text, Bild, Video, Audio, Social Media
- Management der Freigabeschleifen (Achtung, Zeitfresser!)
- Koordination Design und Produktion
Wer also eine gut funktionierende Redaktion sein Eigen nennen will, sollte nicht nur auf das Erfüllen der Produktionsprozesse pochen (das, was Diagramme darstellen). Die Mitarbeiter brauchen genug Freiraum für alle weiteren Aufgaben, damit sie mit Kreativität und Elan die Content-Qualität auf hohem Niveau halten können. In einem Hamsterrad entwickelt sich niemand weiter.
3. Der Aufbau einer Redaktion: Am Besten konservativ und fortschrittlich zugleich
Es gibt keine Pauschalregeln, nach denen eine Redaktion aufzubauen wäre. Es kommt ganz auf die Ziele an, die sie verfolgen soll. Manche sind abhängig von den Content-Lieferungen anderer Abteilungen, haben kaum Mitspracherecht und setzen die Vorgaben anderer einfach um. Andere arbeiten vorwiegend selbstbestimmt, autark. Sie haben die Befugnis, Beiträge abzulehnen, wenn sie nicht in die Themenplanung passen oder den Qualitätsstandards nicht genügen – auch dann, wenn sie aus der Geschäftsführung kommen. In der Praxis hat sich eine Mischform aus abhängig und unabhängig bewährt: extrem stark vernetzt mit allen Kommunizierenden des Unternehmens, die zuliefern. Und dennoch hat die Redaktion Mitspracherecht, was die Gestaltung und Qualität der Beiträge angeht. Sie sollte die Hüterin der Content-Qualität sein – und andere Abteilungen müssen das akzeptieren. Nur wenn die Redaktion hier die nötige Entscheidungsbefugnis hat, kann sie für eine kontinuierliche Content-Qualität sorgen.
Welche Jobs sind typisch für eine Redaktion? Auch hier sind der Gestaltung keine Grenzen gesetzt – es kommt eben auf die Ziele an, die mit Content-Marketing erreicht werden sollen. Aber: Es gibt eine Position innerhalb dieses komplexen Gefüges, die generell sinnvoll ist. Doch dazu mehr im nächsten Punkt.
Stellen wir erst einmal einige typische Rollen vor, die eine Redaktionsstube bereichern können.
- Chefredakteur/Redaktionsleiter: Hüter des Themenplans und Kontaktperson in andere Kommunikationsabteilungen
- Chef vom Dienst (CvD): Manager der Abläufe und Hüter des Redaktionsplans
- Textchef: Verantwortlich für die stilistische und markenkonforme Content-Qualität, auch SEO kann sein Thema sein.
- Journalist/Redakteur: Redigieren eingegangener Beiträge, Produktion eigener Beiträge
- Film-, Audioproduzent: Gut, wenn der Content eher bild- als textlastig ist
- Grafiker, Online-Designer: Anreichern der Beiträge mit optischen Ideen, Animationen etc.
- Social-Media-Manager: Begleiten aller Publikationen mit regelmäßigen Posts
- Schlussredakteur/Lektor: Kontrolle der Schreibweise und Rechtschreibung
- Bildredakteur: Auswahl passende Bilder (Wie wichtig diese Expertise ist, belegen die vielen Stockphotos, die in Online-Publikationen Leser langweilen.)
So weit die Klassiker. Doch eine Unternehmensredaktion kann durchaus weitere Kompetenzen vertragen. Die US-Content-Strategien Ann Handley veröffentlichte auf Slideshare eine handgemalte Grafik, auf der sie den möglichen Aufbau eines Website-Content-Teams vorstellt:
Zur Erklärung:
- Content-Strategist: Berater für Strukturen und Prozesse
- Editiorial Director: Redaktionsleiter, Betreuer aller Content-Produzenten
- Curator: Recherche nach passenden Themen
- Syndicator: Suche nach Verknüpfungs-, Effizienz- und Mehrfachverwertungspotentialen
- Analyst: Erfolgskontrolle der Website
- Site-Manager: Verantwortung für Einbau ins CMS, Tool-Betreuung etc.
Mit am Tisch sitzen könnten zudem:
- Info-Architekt (verantwortlich für den intelligenten Aufbau eines Online-Angebots)
- Content-Vermarkter (sorgt dafür, dass der Content beworben wird)
- Workflow-Manager (eine Art CvD, verantwortlich für funktionierende Abläufe, auch mit den passenden Tools)
Es zeigt sich: Würden all diese Vorschläge beherzigt, wären Redaktionen vermutlich völlig überdimensioniert. Erfahrungsgemäß gibt es immer noch weitere Vorschläge, welche Berufsbilder in eine Redaktion passen könnten. Aus diesem Grund ist es so wichtig, zuerst die Ziele und die Aufgaben vorab zu analysieren – und welche Kompetenzen andere Kommunikationsabteilungen beisteuern könnten. Sobald klar ist, welche Aufgaben zu meistern sind, können die richtigen Leute geholt und die Aufgaben passend verteilt werden.
Die richtigen Leute für das Redaktionsteam zu finden, ist entscheidend für den Erfolg und damit für die Content-Qualität. Das Bonmot von Jack Welch, Ex-CEO von General Electric, gilt auch hier:
„Getting the right people in the right jobs is a lot more important than developing a strategy.“
Oder, umgedreht: Eine Content-Strategie kann noch so perfekt sein – wenn man die falschen Leute ranlässt, wird sie scheitern.
4. Ohne ihn geht gar nichts: Der Chef vom Dienst
Unternehmensredaktionen haben eine Besonderheit: Sie benötigen mitunter mehr Abstimmungsprozesse als ihre Verlagskollegen, weil sie auf viele Interessen Rücksicht nehmen müssen. In dieser Gemengelage ist ein Top-Manager, der alle Beteiligten und Termine im Auge behält, essenziell. In klassischen Redaktionen ist das der „Chef vom Dienst“ (CvD). Er ist Hüter des Redaktionsplans und weiß, welche Content-Arten wann von wem produziert werden. Und er weiß, wann Abgabeschluss ist. Das ist kein Posten für allzu friedfertige Menschen – Durchsetzungsstärke und eine gewisse natürliche Autorität sind von Vorteil, damit der Laden läuft.
Leider wird die zentrale Bedeutung des CvD gerne verkannt. So gibt es mancherorts das rotierende Prinzip: Irgendein Mitarbeiter übernimmt für eine Woche oder einen Monat das Amt des CvD. Was natürlich extrem übergabeintensiv ist. Auch Siemens hat aus seinen Erfahrungen gelernt, berichtet Marie-Christine Schindler in ihrem Blog. Der Technologiekonzern glaubte, sich den CvD sparen zu können, weil sich die wichtigsten Kommunizierenden ein Großraumbüro teilen – und die werden sich doch hoffentlich absprechen? Eine Fehlannahme.
So beschreibt Oliver Santen, Head of PR and Technology Press bei Siemens, im Interview mit Marie-Christine Schindler seine Erfahrungen:
„Das war eine wichtige Lektion, die wir gelernt haben: Wir sind mit dem Newsroom zunächst ohne einen klassischen Chef vom Dienst gestartet, weil wir angenommen haben, dass sich der Newsroom durch seine Transparenz und die kurzen Wege quasi selbst steuert. Dann haben wir allerdings festgestellt, dass es doch eine koordinierende Einheit braucht und hatten zunächst einen CvD in Rotation geschaffen. Der CvD hatte jeweils für eine Woche Dienst und wurde von einer Abteilung gestellt. Das hat zwar Spaß gemacht, weil man einen guten Querschnittsüberblick bekommen hat. Aber die Übergabe an den nächsten CvD war schlicht zu aufwendig. Heute übernimmt die Governance-Abteilung die klassischen CvD-Aufgaben.“
Auch Datev hat die Bedeutung des CvD erkannt – und leistet sich sogar zwei CvD, damit das Management des Newsrooms klappt.
5. Nur verinnerlichte Prozesse sind gute Prozesse
Natürlich: Praktikable Abläufe sind essenziell für den Erfolg einer Redaktion. Ein Content-Stratege, der für den Prozessaufbau zuständig ist, darf sich aber nicht verkünsteln. Zu viele Regeln töten Ideen, Inspiration und die Freude an guten Inhalten. Man kann Content auch „zu Tode“ planen. Deshalb wäre es gut, wenn eine Person mit großer Leidenschaft für gute Inhalte den Prozessaufbau übernehmen würde – und kein Controller ohne Sensibilität für redaktionelle Bedürfnisse.
Unkomplizierte, robuste Prozesse sind von Vorteil – aus drei Gründen:
- Sie können verinnerlicht werden: Sie werden als selbstverständlich anerkannt, und die Mitarbeiter, die Teil einer Prozesskette sind, wissen quasi blind, was sie wann zu tun haben. In der W&V-Redaktion, in der ich früher arbeitete, hing ein Prozess-Diagramm an der Tür des CvD – aber auf der Rückseite, ganz vergilbt. Niemand hatte Verwendung dafür, weil jeder wusste, was wann zu tun ist. Diese Verinnerlichung nennt man auch professionelles Arbeiten.
- Sie erhöhen die Flexibilität: Simple Prozesse können ohne viel Federlesens variiert werden, wenn Ausnahmen nötig werden. Zum Beispiel wenn ein Kommentar der Geschäftsführung zu einem topaktuellen Krisenthema sofort veröffentlicht werden muss.
- Sie federn Probleme ab: Sollten Schwierigkeiten auftreten – nicht selten in einer Redaktion – können ausnahmsweise alternative Lösungen geschaffen werden.
So etwa kann ein simpler Redaktionsprozess eines Blogs aussehen:
Wie die meisten Diagramme zeigt dieses die Abläufe auf sehr übersichtliche Weise. Es ist nicht sein Job, auf mögliche Hindernisse hinzuweisen. Eine Ahnung davon geben die beiden umrahmten Kästen im unteren Diagrammbereich. So entsteht bei Zuständigkeiten und Terminen (linker Kasten) gerne der erste Abstimmungsheckmeck.
Der rechte Kasten („Überarbeitung nötig?“) enthält einen sehr sensiblen Punkt: Gerne wird darüber hinweg gesehen, dass nach Abgabe eines Artikels die Arbeit noch lange nicht getan ist. Es kann sogar noch hoch hergehen bis zur Veröffentlichung. Folgende Prozessschritte sollten deshalb immer eingeplant werden:
- Mehrere Korrekturschleifen (in Redaktion, mit dem Autor)
- Mehrere Freigabeschleifen (von Experten im Haus)
- Die Realisierung (Einbetten in Layout, CMS etc.)
- Die Optimierungsphase (Ein fertiger Beitrag wird final begutachtet)
- Freigaben der finalen Fassung
- Veröffentlichung
- Vermarktung, etwa auf Social Media
Diese Schritte erfordern gerne ein hohes Maß an Diplomatie und Frustrationstoleranz. Etwa wenn der freigebende Experte klobige Wortungetüme einbaut und fordert, diese unverändert zu lassen, weil seine Aussage sonst verfälscht würde. Oder wenn der Rechtsanwalt ohne Erklärung ganze Passagen streicht, die für den Lesefluss entscheidend sind. Oder wenn die Freigabeschleife drei Wochen dauert, weil der Zuständige krank/überarbeitet/in Urlaub ist – und sich keiner als Vertreter berufen fühlt.
Keine Frage, Freigabeschleifen gehören zu den besonders kräftezehrenden Hindernissen. Wer sich schon einmal darin verheddert hat, weiß wie ineffizient ein Publikationsprozess ablaufen kann. Meine persönlicher Rekord: stattliche vier Monate, bis ich endlich alle (acht) Freigaben hatte. Sollten solche Abstimmungsprozesse besonders stark behindern, entsteht ein neues – sehr wichtiges – Aufgabenfeld der Redaktion: das Schulen aller zuarbeitenden Mitarbeiter, um sie auf das Arbeiten mit einer Redaktion zu sensibilisieren. Anfertigen von Guidelines inklusive.
Die Redaktion der Streitkräftebasis der Bundeswehr hat eine Lösung gegen lästige Freigabeschleifen gefunden: Es gibt keine. So sagte Jan O. Portugall, Hauptmann und Leiter der Online-Redaktion der Streitkräftebasis in Bonn, einmal im Rahmen eines Workshops:
„Nach dem Redigieren eines Artikels führen wir einen finalen Faktencheck durch. Es wird kontrolliert, ob die Informationen noch richtig sind und den Sachverhalt verständlich darstellen. Der Autor oder weitere Experten bleiben außen vor. Auf diese Weise haben wir unser Timing im Griff.“
6. Die Mutter aller Prozesse: Der Redaktionsplan
Dreh- und Angelpunkt einer tatkräftigen Redaktion ist ihr Redaktionsplan. Er wird geführt vom CvD oder dem Redaktionschef. Darin werden alle laufenden Produktionen festgehalten. In der Redaktionskonferenz werden die Themen gemeinsam besprochen. Das könnten seine Kategorien sein:
- Themenfeld (Welches Thema aus dem Themenplan wird behandelt?)
- Thema (Arbeitstitel der geplanten Veröffentlichung)
- Aussage der Veröffentlichung (Markenbotschaft)
- Persona/Zielgruppe
- Content-Art
- Volumen
- Ort der Veröffentlichung
- Verantwortlicher Betreuer
- Produzent (intern/extern)
- Produktionsstart
- Abgabetermin
- Freigaben
- Design, Realisierung
- Veröffentlichungstermin
- Verknüpfungen & Konsequenzen für andere Content-Arten
- Verantwortliche für Vermarktung, Social Media, PR
Informationen wie diese sind im Übrigen viel zu schade, um irgendwann abgehakt und vergessen zu werden. In ihrer Fülle geben sie wertvolle Informationen über das Content-Management im Haus preis – zum Beispiel, für welche Personas oder Markenbotschaften welche Content-Arten besonders häufig produziert wurden. Wer eine solche Analyse üben will, ist mit einem simplen Excel-Sheet gut beraten. Wer aus dem Vollen schöpfen und sein gesamtes Content-Angebot anhand solcher Informationen organisieren will, sollte sich Tools wie Scompler mal etwas genauer ansehen.
Man sieht: Der Aufbau einer Redaktion ist kein einfacher Job. Und die Abläufe ebenso wenig. Also sollte man (viel) Geduld an den Tag legen und die Redaktion mit genug Kompetenz und Entscheidungsbefugnissen ausstatten, um die nötige Content-Qualität sicherzustellen. Es ist normal, wenn vieles auf Anhieb nicht funktioniert – die Routine muss sich erst einstellen. Sobald sich diese eingeschliffen hat und die Mitarbeiter die Abläufe verinnerlicht haben, wird ihr Kopf frei für das Essenzielle im Content-Marketing: kreative Exzellenz.
Artikelbild: Martin Mummel/GRVTY
Geballtes Wissen aus dem reiche Erfahrung spricht. Kompliment. Mir gefällt der Syndicator. Bisher habe ich das als Aufgabe aber nicht als Funktion wahrgenommen. Macht aber schon Sinn diesen Hut zuzuteilen. Danke auch für die Empfehlung, die mich freut.
Danke Dir, Marie Christine. Habe Dich gerne erwähnt, Du gibst ja sehr wertvolle Informationen weiter. Und zum Thema Redaktionsaufbau gibt es leider noch viel zu wenig. Selbst Redaktionsbosse (die darüber Bücher schreiben) lassen Grundlegendes einfach aus.
Sehr hilfreich. Danke!
Hallo Doris,
danke für die Weitergabe Deines Wissens rund um den Redaktionsprozess. Interessant finde ich die Aufgabe des Syndicator. Diese hätte ich viel stärker dem Content-Strategist zugeordnet, da er strategisch denkt und arbeitet und die Aufgabe des Syndicator damit seine Aufgabe ist.
Beste Grüße. Ralph