Pitchkultur in Deutschland: Du hast angefangen! – Nein, du!
Bei Pitches hört die Freundschaft auf – bevor sie überhaupt angefangen hat. Eigentlich sollten doch die gemeinsamen Ziele im Rahmen der angestrebten Partnerschaft überwiegen. Allerdings gibt es wohl kaum größere Diskrepanzen zwischen Unternehmen und Agenturen als bei diesem Auswahlprozess für zukünftige Kommunikationsvorhaben. Ist diese Methode nun lediglich von zahlreichen Missverständnissen oder sogar taktischem Geplänkel geprägt? Sind Pitches überhaupt noch zeitgemäß? Mit Beispielen aus der Praxis halte ich den Beteiligten im hiesigen Beitrag den Spiegel vor.
Goldene Regel der praktischen Ethik
Die Diskussion zur Pitchkultur ist mindestens so alt wie Cher. Genau genommen kann demnach ein ganzheitlicher Ursprung nicht ausgemacht werden. Über ein regelmäßiges Update (sprich: Lifting) herrscht jedoch Gewissheit. Ihr werdet das in einigen Wochen wieder erleben.
So bringen sich die Agenturen spätestens im Herbst in Position. Machen ihrem Unmut über vergangene, vergebene und verlorene Etats Luft. Schwören sich auf potenzielle Neukunden ein, indem sie ihre Expertise außerhalb von Food- und Lifestyle-Themen anpreisen, von innovativen und kreativen Konzepten und Formaten schwärmen sowie in Sachen Eigen-PR die Factsheets der zu Recht eingeheimsten Awards ordentlich aufpolieren.
Gleichzeitig und scheinbar unabhängig und unbeeindruckt davon planen die Unternehmen ganz unaufgeregt und mit Blick auf ihre Ressourcen und Kampagnen ihre anstehenden Ausschreibungen. Vielleicht sollte man vorher ja noch schnell Fördergelder beantragen, der Chefetage die Vorteile dieses sogenannten Internets erklären oder einen Praktikanten mit der belanglosen Entwicklung und Einführung einer Content-Marketing-Strategie betrauen …?
Das mag alles pathetisch klingen, aber „wie so oft liegt auch hier die Mitte irgendwo in der Wahrheit“ (Rudi Völler). Um Klischees kommen wir diesmal leider nicht herum. Auch weil die Beispiele natürlich anonymisiert und manchmal überspitzt dargestellt sind und dadurch konstruiert wirken könnten. Jedoch sind die Unternehmens- und Agenturennamen ohnehin absolut generisch.
Versetzen wir uns deshalb zunächst in die Lage irgendeines Bittstellers. Hierzu zeige ich euch den feinen „Fachvortrag von Harry G“ für Start-ups, der zuletzt durch die Social Media geisterte:
Bei knapp 40.000 Aufrufen auf YouTube und über 500.000 bei Facebook binnen kürzester Zeit muss wohl irgendetwas an den Inhalten des Videos „Harry G über richtig pitchen“ dran sein.
Wo liegt denn jetzt das Problem? Die einen tragen möglicherweise etwas zu dick auf, aber die anderen bekommen letztendlich was sie wollen. Agenturen und Unternehmen täten jedenfalls gut daran, bereits im Vorfeld sowohl die Erwartungshaltung des Gegenüber als auch die eigene genauestens abzustecken. Dann würden sie sich auf Anhieb besser verstehen. Getreu dem Motto „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu“.
Eine schöne Alternative zum klassischen Pitch ist deshalb ein vorgelagertes Chemistry Meeting. Im Gegensatz zum handelsüblichen Pitch geht es hierbei nicht vorrangig darum, den einen Dienstleister zu finden, der für die bevorstehende Aufgabe Kompetenz, Konzept und Preis optimal vereint. Sondern um das Zwischenmenschliche, um die Wertschätzung, um die Chemie.
Ich glaube, dass dieses (nennen wir es) Format zukünftig weiter an Bedeutung gewinnt. Die Agenturen müssen weitaus weniger Kapazitäten investieren und sind daher eher dazu geneigt, die Anfrage anzugehen. Und selbst für noch unerfahrene Unternehmen ergibt sich somit die einmalige Chance, bei der kostenlosen Road-Show der renommierten Agenturen mitwirken zu können. Wenn denn gewisse, unausgesprochene Regeln beachtet werden, ist das legitim.
Grober Ablauf: Für eine erste „Longlist“ werden je nach Größenordnung und Erfahrungshorizont des Unternehmens eine Handvoll bis hin zu maximal einem Dutzend Agenturen auserkoren. Meist liegt dem eine kurze Recherche zugrunde oder werden Empfehlungen ausgesprochen. Daraus wird eine „Shortlist“ generiert, die in der Regel den bisherigen Etathalter berücksichtigt. Die übriggebliebenen Agenturen bilden dann den Kreis des Vertrauens und bekommen eine Einladung zum Pitch samt Briefing. Nach dem Erhalt des Briefings wird gegebenenfalls eine Gelegenheit zum Rebriefing gegeben. Fragen können übermittelt werden. Konzept-Charts werden dann eingereicht und in den meisten Fällen live vor Ort präsentiert. Nach einem individuellen Bewertungsbogen und eventuell einer zweiten oder dritten Runde mit nur noch zwei Finalisten wird der Gewinner gekürt. Konzeptionelle Nuancen oder belastbare Freundschaften sind oft das Zünglein an der Waage.
Fairness in der Kommunikationskomik
Wir können gewissermaßen die Uhr danach stellen und uns auf das Murmeltier verlassen: Die „Pitch-Verlierer-Krankheit“ wird kursieren und kann im schlechtesten Fall alle einholen und als Versager dastehen lassen. In puncto Fairness und Verständnis bekleckert sich bei Pitches nämlich keiner so richtig mit Ruhm. Es wird Streit geben. Manchmal hinter den Kulissen und bisweilen sogar mit einem großen Knall in der Öffentlichkeit oder zumindest in der Filterblase der Agenturlandschaft.
Für Furore sorgte beispielsweise ein Video von Mirko Kaminski im Sommer 2011, das im Rahmen seiner YouTube-Reihe „Auf ein Wort vom Regal“ erschienen ist. Darin beschreibt er als einer von zwei Geschäftsführern der Agentur achtung! exemplarisch eine leider nur allzu typische Aufforderung zu Teilname an einem Pitch:
Mangelhaftes Briefing für eine komplexe Aufgabe, aber nur zwei Wochen Zeit – auch ein Pitch-Honorar gab es nicht. Da machte Mirko Kaminski nicht mit!
In einem Interview verrät er uns dankenswerterweise fünf Jahre danach, was seither geschah.
Der Appell an sich hat zwar für eine sagenhafte Resonanz gesorgt, aber er hat sicher nicht das Gros der Unternehmen zum Umdenken gebracht. Das ist nur in Einzelfällen geschehen. So hat der Einkaufschef eines Dax-Unternehmens um einen Termin gebeten und gefragt: „Wie können wir die Beziehung zu Agenturen verbessern?“. Das fand ich gut. Vor allem haben wir selbst als Agentur unser Verhalten verändert.
Wir bekommen etwa fünf Neugeschäftsanfragen die Woche. Von denen sagen wir vier bis fünf ab. Wir haben einen 15 Punkte umfassenden Kriterienkatalog, nach dem wir Anfragen und New Business-Chancen bewerten. Zu den Kriterien gehören die Fragen, ob das Briefing von hoher Qualität ist, ob nur maximal vier oder fünf Agenturen im Rennen sind, ob es ein Pitch-Honorar gibt, ob wir den Entscheidungsprozess genau kennen, ob es die Möglichkeit eines persönlichen Rebriefings und Schulterblicks gibt etc.
Wir laufen nicht jeder vermeintlichen Chance hinterher. Das schont unsere Mitarbeiter und übrigens auch die Agenturkasse und führt zu einer höheren Trefferquote. Würden das alle Agenturen so machen, hätte das eine Wirkung auf die Unternehmen bzw. Kunden. Aber dafür gibt es einfach zu viele Agenturen und vor allem zu viele Agenturen, die unter Druck stehen und meinen, jeder vermeintlichen Chance hinterherjagen zu müssen.
Müssen sich allein die Unternehmen bewegen?
Es gibt ja nicht DIE Unternehmen im Sinne von Organisationen mit großer Ähnlichkeit. Es gibt Millionen von deutschen Unternehmen. Mal sitzt da jemand, der noch nie ein Briefing geschrieben oder einen Pitch organisiert hat, und soll nun eine Agentur auswählen. Mal gibt es eine große und erfahrene Abteilung, die professionell agiert, denen aber der Einkauf mit dem Ziel reingrätscht und vor allem 20 Prozent sparen will. Und mal ist da ein Mittelständler mit kompetenter Marketing- oder PR-Abteilung, der fair und überlegt vorgeht. Und das ist noch nicht das gesamte Spektrum.
Auf jeden Fall steht fest: Eine Agentur sollte nicht alles mitmachen. Wer sich einmal auf den Ramschtisch legt, kommt davon nicht so schnell wieder runter.
Gibt es für die Pitch-Kultur ein Happy End?
Vielleicht wäre das Ende der Pitches das eigentliche Happy End. Wir schaffen es mehr und mehr, Unternehmen einen Pitch auszureden. Und zwar nicht nur vom Eigeninteresse getrieben, sondern gerade mit Blick auf das Interesse des Unternehmens.
Man kann ja Chemistry Meetings mit mehreren Agenturen machen. Aber dann sollte man eine auswählen und mit ihr in einen Workshop gehen. Da kann dann ein Konzept gemeinsam erarbeitet werden. Das Unternehmen bringt all seine Erfahrungen und sein Know-how ein, die Agentur Wissen aus anderen Branchen und neue Impulse. So kann ein wirklich starkes und dann auch realisierbares Konzept entstehen. Und nebenbei lernt das Unternehmen die Agentur in der unmittelbaren Zusammenarbeit kennen.
So ein Vorgehen ist auch effizienter. Schließlich werden mehr als 80 Prozent der Gewinner-Konzepte aus Pitches nie realisiert. Sie haben das Unternehmen zwar z. B. in Sachen Kreativität überzeugt, haben aber viele Implikationen nicht bedacht, weil die Agentur sie nicht gesehen hat. In solchen Workshops entstehen in der Regel Konzepte, die gleich auf die Straße gebracht werden können.
Puh, da steckt jede Menge drin. Also der Reihe nach. Zunächst ist es wohl purer Zufall, dass Mirko Kaminski und meine Wenigkeit die gleiche Sprache sprechen und die Dinge gleichermaßen durch die subjektive Agenturenbrille sehen. Zur Überprüfung dieser These hätte ich sehr gerne die Unternehmensseite zu Wort kommen lassen. Doch war eine spontane Stellungnahme „auf die Schnelle“ einfach nicht zu bekommen.
Deshalb der obligatorische Call-to-Action heute mal an ungewohnter Stelle: Fühlt sich irgendein Unternehmen, eine Abteilung eines Unternehmens oder ein Macher innerhalb einer Abteilung eines Unternehmens dazu berufen, einige Sätze zur Pitchkultur abzugeben? Oder kennt jemand aus eigener Erfahrung ein gutes Beispiel, welches – anonymisiert! – den Umgang der Parteien miteinander wiederspiegelt? Dann schreibt und redet mit uns!
Das Briefing anhand eines fiktiven Beispiels
Entweder: „Hören Sie, junger Mann, Sie werden die zwölf Apostel an die Decke malen und das Gewölbe dekorieren, und dafür erhalten Sie 2.000 Dukaten abzüglich der Miete für das Haus, das ich Ihnen zur Verfügung stellen werde. Alles klar?“.
Oder: „Bitte geben Sie unserer Kirche eine neue Bedeutung, Michelangelo, verwandeln Sie die Decke der Sixtinischen Kapelle in eine Botschaft – zum größeren Ruhme Gottes und als Inspiration und Lehre für sein Volk. Ich sehe Fresken, die die Schöpfung der Welt darstellen, den Fall und die Erniedrigung der Menschheit durch die Sünde, den göttlichen Zorn der Sintflut und die Rettung Noahs und seiner Familie. Gehen Sie mit diesem Werk in die Ewigkeit ein. Wachsen Sie über sich hinaus – wer sonst als Sie wäre dazu berufen?“
Ich habe die aberwitzigsten Briefings gesehen, aber (zur Ehrenrettung) auch viele gute. Zugegebenermaßen wird doch sowieso eher gemeckert, als einen zwar wunderbar geplanten und durchgeführten (und verlorenen) Pitch über den Klee zu loben. Der Stachel sitzt dann doch zu tief.
Unterm Strich wird das Pitchen um neue Aufträge als ein leidiges Thema unter Agenturen erachtet. Es kostet Zeit, Arbeitskraft und Nerven. Schuld an dieser negativen Grundhaltung sind zig Beispiele, in denen Unternehmen oder Verbände für relativ wenig oder gänzlich ohne Geld schlichtweg gute Ideen und Konzepte abgegriffen haben.
Lesetipp: Seit 2014 hat die Gesellschaft der führenden PR-Agenturen in Deutschland, die GPRA, mit pitchblog.de eine Plattform initiiert, auf der Agenturen ihre Erfahrungen öffentlich teilen können. Gerade kleinere und mittelständische Unternehmen und andere unerfahrene Auftraggeber sollten das Blog ebenfalls aufmerksam verfolgen. Unterschieden wird in „Good Pitches“ und „Foul Pitches“ – die Auftraggeber werden dabei explizit genannt, während die Agenturen respektive Quellen anonym bleiben. Aktuell wird der letzte Beitrag aus Juni 2016 mit dem „Witz der Woche“ betitelt.
Noch weniger komisch ist der oftmals unnötig aufgebaute Zeitdruck bei Pitches. Möglichst kreativ soll man sein – und das tunlichst in geringer Zeit. Kreativität und Zeit stehen jedoch in einem engen und komplexen Zusammenhang. Strikte Deadlines bewirken nicht immer das beste Ergebnis.
Wie stark der Zeitdruck tatsächlich die Kreativität beeinflussen kann, zeigt das wunderbare Video „The world’s most talented people“ von Café Communications:
Kreativität und Zeit in Einklang zu bringen, ist nicht ganz so einfach. Ein kleines Experiment von Café Communications zeigt, wie stark Zeitdruck die Kreativität von Kindern beeinflussen kann.
Have a Pitch, have a Checklist
Beide Seiten müssen sich darüber im Klaren sein, was sie eigentlich wollen – oder noch viel besser: was sie nicht wollen. So banal wie das klingt, ist es nicht – dazu gehört nämlich ein gesundes Maß an Selbstkritik.
Eine nicht repräsentative Online-Umfrage der dpa-Tochter news aktuell und Faktenkontor aus dem vergangenen Jahr zeigt, dass die Selbsteinschätzung der Agenturen von der Performance-Beurteilung der Unternehmen teils deutlich abweicht. Also: Wie gut sind PR-Agenturen in Pitches wirklich?
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, habe ich einige Guidelines für eine fairere Pitchkultur zusammengestellt. Jeder der Beteiligten kann sich bei Interesse und Bedarf gerne eine Scheibe davon abschneiden:
1. Briefing
Die Grundlage eines jeden Pitches bildet ein Briefing mit klar formulierten Vorgaben des Auftraggebers. Zu einem guten Briefing gehören unter anderem eine präzise beschriebene Aufgabe und die entsprechenden Kommunikationsziele. Wer sind meine Wettbewerber? Wie definierte ich meine Zielgruppe? Wo positioniere ich mich im Markt, und wo will ich hin? Auch umfangreiche Basisinformationen über das Unternehmen und seine Marken sind wichtig. Agenturen sind dazu angehalten, Fragen zu stellen und diese Informationen rigoros einzufordern.
2. Strategie
Jeder Pitch, auch zu einzelnen Maßnahmen, muss in die ganzheitliche Unternehmensstrategie eingebettet sein. Über diese Gesamtstrategie müssen die Agenturen hinlänglich aufgeklärt werden. Die potenziellen Auftragsnehmer sollten sich wiederum objektiv fragen, ob Produkt, Marke und Herangehensweise überhaupt zu einem passen. Gegebenenfalls spielen hierbei ethische Fragestellungen eine Rolle. Würde ich eine Kampagne für die Tabak-Industrie verantworten können? Darf ich mich für eine politische Gesinnung engagieren?
3. Budget
Welches Budget ist eigentlich vorhanden, um die geforderten Maßnahmen umzusetzen? Der finanzielle Rahmen muss im Vorfeld abgesteckt und realistisch eingeschätzt werden. Den günstigsten Pitch-Teilnehmer auszuwählen, nur damit alle Wünsche erfüllt werden, gilt als schlechtes Geschäftsgebaren. Was für die Agenturen heißt, nicht gezwungenermaßen jeden Pitch mitmachen zu müssen und sich auf Preisdumping einzulassen. Vielmehr sollten sie wissen, was sie imstande sind zu leisten – und sich die Leistungen adäquat belohnen zu lassen.
4. Zeit
Unternehmen sollten einen Pitch über einen längeren Zeitraum mit Ernsthaftigkeit behandeln und nicht als notwendiges Übel betrachten. Lieber einmal richtig pitchen, als Monate später unzufrieden auf die Zusammenarbeit zurückblicken zu müssen. Entschleunigung und Präzision sind dem Vorhaben deutlich zuträglicher. Auch die Agenturen sind gut beraten, eigene Kapazitäten vorzuhalten und nachhaltig auszubauen. Auf die Schnelle ein Team aufzustellen, um selbiges nach der meinetwegen zweijährigen Vertragslaufzeit wieder zu entlassen, hilft keinem.
5. Honorar
Der wohl größte Stein des Pitchkultur-Anstoßes betrifft die Vergütung der teilnehmenden Agenturen. Der Gewinner des Wettbewerbs darf sich über ein hoffentlich angemessenes Kapital freuen. Alle anderen durften Lehrgeld zahlen und gehen in den meisten Fällen leer aus. Deshalb sollten die Unternehmen nicht vergessen, dass die teilnehmenden Agenturen in Vorleistung getreten sind und deshalb zumindest eine symbolische Aufwandsentschädigung verdient haben. Agenturverbände wie der Gesamtverband Kommunikationsagenturen (GWA) oder die bereits erwähnte GPRA raten sogar davon ab, an nicht honorierten Pitches teilzunehmen.
6. Wertschätzung
Zum Fairplay bzw. zur oben genannten Fairness gehört, dass die Qualität der eingereichten Vorschläge als Grundlage der Auftragsvergabe dient – und nicht allein die schillernden Auszeichnungen oder persönliche Beziehungen. Ein Pitch trägt bestenfalls zur zwischenmenschlichen Annäherung und zum gegenseitigen Kennenlernen bei. Ich prophezeie einen katastrophalen Ausgang, wenn beim Pitch-Verfahren noch die Geschäftsführer höchstpersönlich erscheinen und hinterher nur die Nachwuchskräfte die Kampagnen umsetzen.
7. Transparenz
Mit dem gemeinsamen Ziel vor Augen, ein optimales Verständnis für die Aufgabenstellung zu erreichen, ist ein gegenseitiges „Hineinversetzen-Wollen“ unabdingbar. Hierfür bedarf es aus Sicht der Ausschreibenden eines zügigen Antwortverhaltens bei Rückfragen im Direktkontakt sowie einer generellen Ansprechbarkeit ohne Allüren. Die Agenturen möchten wissen, woran sie sind. Und bei verlorenen Pitches eine ehrliche, zeitnahe und unaufgeforderte Begründung der K.o.-Kriterien.
Alles noch einmal auf den Punkt gepitcht
Fassen wir zusammen: Es gibt einiges, was Unternehmen und Agenturen voneinander wissen sollten, um bei einer Zusammenarbeit ein optimales Ergebnis zu erzielen – wohlgemerkt, ohne sich vorher tiefgründig kennengelernt zu haben.
Daher gilt es, in einem ersten Schritt die Hausaufgaben ordentlich zu machen. Also die eigenen budgetären und personellen Ressourcen festzulegen und auf die Ziele hin abzustimmen. Nur so lässt sich ein kritischer Anforderungskatalog zusammenzustellen, der methodisches Wissen, das angestrebte Beratungsniveau und die eigenen Erfahrungen beherzigt.
Sämtliche Anforderungen müssen klar formuliert sein. Dabei hilft es, das Ganze einmal aus der Perspektive des Gegenübers zu betrachten. Ob es am Ende wirklich die Durchführung eines Agenturpitches sein muss, sei dahingestellt. Manchmal reicht einfach das persönliche Vorsprechen.
Kurzum, lasst euch nicht alles gefallen.
Artikelbild: Martin Mummel/GRVTY
Danke Stefan, für deine Einschätzung und Tipps aus Agentursicht!
Bei Freelancern und entsprechend kleineren Etats verkürzt sich der Pitch häufig auf den Preis. (Die berühmten 57% der Kaufentscheidung sind bereits getroffen, bevor man ins Gespräch kommt.)
Daher sollte man versuchen, einen Mehrwert als Ganzes zu verkaufen, nicht einzelne Stunden oder Wörter. Denn kleine Verkaufseinheiten sind „angreifbar“, die „Magie“ des großen Ganzen nur schwer.
Dazu ein Beispiel: Ein Blogbeitrag kann entweder ein Text mit 600 Wörtern sein oder aber ein vollwertiger „Vertriebsmitarbeiter“, der aus Interessenten treue Verehrer macht. Frage: Wofür ist der Kunde bereit, mehr zu zahlen?
Es lohnt sich, etwas Hirnschmalz in die „Magie“ zu stecken!
Hallo Sascha,
ja, bei Freelancern ist der Auswahlprozess deutlich kürzer – geht dieser doch meistens über den Preis. Aber genau das möchte ich eigentlich nicht mehr hören, sondern (beide Seiten) dazu ermutigen, auch mal „nein“ zu sagen.
„Was nicht passt, wird passend gemacht“ funktioniert in dieser sensiblen Konstellation einfach nicht. Die Chemie muss stimmen, von Beginn an – dann wird es die von dir treffend erwähnte „Magie“ geben.
VG
Stefan
Danke für diesen lesenswerten Artikel!
Als Freelancer erhalte ich immer wieder Anfragen von Direktkunden und Agenturen, die „Testprojekte“ wollen, also Pitches in klein. Für solche „Testprojekte“ biete ich einen Stundensatz an, der etwa 25 Prozent unter meinem Standardsatz liegt. Unbezahlte Testprojekte lehne ich rigoros ab.
Manche Kunden bieten von sich aus ein „bezahltes Testprojekt“ an, zum vollen Preis. Da stimmt die Chemie auch meist auf Anhieb. Mit gegenseitiger Wertschätzung erreichen wir viel, liebe Kunden!
Hallo Moira,
vielen Dank für dein Feedback. Ich möchte auch gerne nochmals betonen, dass Geld allein nicht (un)glücklich macht. Zur gegenseitigen Wertschätzung gehört aber weitaus mehr – wir beiden meinen wohl das gleiche ;-)
Gruß
Stefan
Hallo Stefan,
Natürlich ist Geld nicht alles. Ein hohes Honorar wird Arroganz, Verplantheit oder sonstige Kundensünden wohl kaum ausgleichen :-) Aber eine angemessene Bezahlung bzw. Verhandlung auf Augenhöhe sind Ausdruck einer wertschätzenden Haltung, die echte Zusammenarbeit ermöglicht und dazu Kreativität fördert. Das zeigt meine Erfahrung der letzten 5 Jahre.
Sonnige Grüße
Moira
Hallo Moira,
verstehe ;-) Hast du vielleicht noch ein besonders positives Beispiel aus den letzten fünf Jahren, welches du skizzieren könntest?
LG
Stefan
„Oder kennt jemand aus eigener Erfahrung ein gutes Beispiel….“ Gerne komme ich dieser Bitte nach. In Deutschland wie in einigen anderen europäischen Ländern verhelfe ich Agenturen zu hochdotierten Verträgen unter totaler Umgehung des Pitsches. Im Agenturauftrag auditiere ich suchende Firma und empfehle dann konkrete Schritte, wie die Agentur den Etat bekommen kann oder auch nicht. In letzterem Fall spart sie Ziel, Geld und Enttäuschung.
…aber wohl „nur“ mit entsprechender Erfahrung und natürlich einem belastbaren Netzwerk, richtig Jorg Borgwardt? Kleineren Agenturen und unerfahrenen Unternehmen wird dieser gute Ansatz leider eher verwehrt bleiben. Besten Dank für den Kommentar!
Danke für den Artikel, er hat mir gut gefallen. Der Gedanke des Chemistry Briefings gefällt mir sehr. Eine Chemie, die passt, ist aus meiner Sicht maßgeblich für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Letztendlich ersparen sich sowohl Unternehmen als auch Agentur viel an Zeit und Vorbereitung, wenn sie erst testen, ob beide Seiten zusammenpassen, und dann gleich in medias res gehen. Ich habe in Pitches aber auch schon Agenturen erlebt, die mein Briefing als ihre Idee verkauft haben, was auch nicht unbedingt die feine englische Art ist. Es gibt auf beiden Seiten die good guys und die bad guys.
Hallo Manuela,
vielen Dank. Ja, Ideenklau kommt vor. Auch, dass Konzepte von unterlegenen Agenturen später von der Gewinneragentur umgesetzt werden (müssen/sollen).
Aus Agenturensicht würde ich der „Klausel“ zur Übertragung der konzipierten oder entwickelten Maßnahmen deshalb nicht zustimmen. Eine kurze E-Mail nach Erhalt der Briefingunterlagen reicht meistens aus. Entweder wird man dann tatsächlich ausgeschlossen oder es löst sich in den meisten Fällen alles in Wohlgefallen auf – nach dem Motto: „wir wollten es zumindest mal versuchen, ist aber nicht wichtig.“
Viele Grüße
Stefan
Wir sind gerade an dem Punkt an dem wir eine Agentur für unseren Website-Relaunch suchen und man hört ja viel davon, dass ein Pitch bei den Agenturen oft negativ gesehen wird. Aber ich muss sagen, ich brauche für meine Kollegen und mich und eben auch für die Vorgesetzten, die nicht bei allen Treffen und Telefonaten dabei sein können, eine Grundlage für eine Bewertung. Wir haben eine Shortlist mit drei Agenturen und waren auch schon bei allen vor Ort (was vermutlich mit Chemistry Meeting gemeint ist) aber das reicht einfach nicht, um beurteilen zu können, ob man mit einer Agentur für einen sehr langen Zeitraum zusammen arbeiten kann (allein die Konzepterstellung und Umsetzung des Relaunchs wird über ein Jahr in Anspruch nehmen). Wir haben uns jetzt dazu entschieden mit diesen drei Agenturen einen Pitch zu veranstalten (mit Aufwandsentschädigung) bei der die Agenturen einen Vorschlag für eine Startseite, eine Unterseite und einen gezielten Prozess in der Customer Journey vorbereiten sollen. Wie ist denn die Einschätzung der Community zu einer solchen Vorgehensweise, bzw. was wäre eine bessere Vorgehensweise?
Hallo Anja, mit dieser Vorgehensweise bekommt ihr sicher einen Eindruck, ob die Agentur die fachlichen Basics beherrscht. Wenn es jedoch um eine Zusammenarbeit „über einen sehr langen Zeitraum“ und ein solch beachtliches Projektvolumen geht, würde ich mir die Projekt- und Account-Manager, mit denen ihr es täglich zu tun haben werdet, genauer ansehen. Vielleicht einmal zusammen auf eine Bergtour gehen o.ä. Ohne Chef. So bekommt ihr echte Insights in die Agentur.
Hallo Anja,
für mich klingt das auf den ersten Blick nach einem gut vorbereiteten und fairen Pitch. Und: du musst dich um Gottes willen nicht dafür rechtfertigen, dass ihr einen Pitch durchführt.
Wie verhält es sich denn mit den Ideen bzw. dem vorzustellenden Prozess: müssen die unterlegenen Agenturen die Rechte abtreten? Wird eine detaillierte Konzeption erwartet oder ein grober Entwurf? Wie hoch (prozentual zur Budgetaussicht) ist denn die Aufwandsentschädigung? Gibt es ein umfangreiches Briefing und ausreichend Zeit für die Bearbeitung?
Bei der Präsentation würde ich dringend empfehlen, dass eure Entscheider vor Ort dabei sind. Dann gibt es keine Ausreden mehr („…können nicht bei allen Treffen und Telefonaten dabei sein“) und später deutlich weniger Missverständnisse.
Ich bin gespannt, wer sich hierzu und in welcher Form noch äußert. Deshalb wiederhole ich deine Frage sehr gerne: Wie ist denn die Einschätzung der Community zu einer solchen Vorgehensweise, bzw. was wäre eine bessere Vorgehensweise?
Viele Grüße
Stefan
Als Ergänzung:
Die Agenturen behalten die Rechte an ihren Ideen. Wir haben uns bei der Aufgabenstellung absichtlich einen sehr klar definierten Fall herausgenommen (der Besucher ist auf der Startseite und will von dort, so einfach wie möglich zu einem bestimmten Produkt). Diese Aufgabe hätten wir gerne im Detail von den Agenturen vorgestellt. Uns war diese konkrete Aufgabenstellung lieber, als ein grobes Konzept für die gesamte Seite. Nach meiner Einschätzung wird etwa 70-80% des benötigten Arbeitsaufwandes vergütet (obwohl das natürlich auch schwanken kann). Ich hoffe das Briefing war ausreichend. Wir haben die Agenturen in KW 32 getroffen, dort wurde schon über die Aufgabenstellung gesprochen, die ausformulierte Aufgabe gab es dann in KW 33, zusammen mit einem Info Paket mit allgemeinen Infos zum Unternehmen, Zielgruppenanalyse, Design-Vorgaben, Werbematerialien, Web-Auswertung, eben alles was der Agentur von nutzen sein könnte. Jetzt haben die Agenturen bis KW 40 Zeit, dort findet dann der Pitch statt. Dort werden dann auch zwei Mitglieder der GL dazukommen und der globale Marketingleiter (mein direkter Chef, der auch schon bei den Meetings dabei war).
Hallo Anja,
herzlichen Dank für dein umfangreiches Feedback!
Jetzt benötigt ihr nur noch ein objektives Bewertungsschema und vielleicht ein gutes Händchen.
Viel Erfolg!
Stefan
Hi Anja, hi Stefan,
ich finde die Vorgehensweise gut! Wichtig ist, dass bei den drei Meetings wirklich alle Entscheider dabei sind. Und, wie Stefan schon gesagt hat, faires Honorar und ausreichend Zeit sollten zur Verfügung stehen. Wobei ich davon ausgehe, dass das der Fall ist, nachdem sich Dein vorgeschlagenes Procedere aus meiner Sicht sehr gut liest. Die Rechte sollten die unterlegenen Agenturen nicht abtreten müssen, das fände ich unfair.
Viele Grüße
Manuela
Hallo Manuela,
ich denke auch – hier muss sich keiner verstecken. Scheint alles in äußerst geordneten Bahnen abzulaufen…
VG
Stefan
Ich mag die Idee von Hr. Kaminski:
Chemistry Meeting, dann Workshop statt Pitch.
Da kommt für beide Seiten mehr raus und beide Seiten können besser einschätzen, ob man die Zusammenarbeit weiterführen will oder nicht.
Sehr gute Anregung.
Hallo Uwe Thellmann,
ich wiederhole mich gerne und wir sind uns einig: „Zunächst ist es wohl purer Zufall, dass Mirko Kaminski und meine Wenigkeit die gleiche Sprache sprechen…“
Denn auch ich halte ein ernst gemeintes Chemistry Meeting für eine gute Idee. Ob Workshops eine ganzheitliche Alternative zum Pitch sind oder ob nach dem Pitch stets ein (bezahlter) Workshop stattfinden sollte, sei mal dahingestellt und kommt wie immer darauf an ;-)
Danke für das Feedback
Stefan